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Freie Systemische Aufstellungen: selbstbestimmt und ohne Druck

in der Serie "Außergewöhnliche Therapieformen"

Von OLAF JACOBSEN

Familienstellen steht unter Beschuss. Vor allem der vermeintliche Begründer der Idee, Bert Hellinger, polarisiert die Szene. Nichtsdestotrotz hat die Aufstellungsarbeit einen wahren Siegeszug hinter sich und nicht nur in der Therapielandschaft, sondern auch in der Wirtschaft (Organisationsaufstellungen) und anderen Bereichen einen festen Platz gefunden. Eine noch junge Variante ist die des Freien Systemischen Aufstellens. Ihr Vorzug liegt darin, dass hier insbesondere die Eigenkompetenz der Teilnehmer gefragt ist. Der Autor, Entwickler der Aufstellungsform, gibt einen Einblick in dessen Herleitung sowie die Einsatzmöglichkeiten und stellt Erklärungsansätze vor, das Phänomen wissenschaftlich einzuordnen.

Schon bald erkannte man, dass Stellvertreter der jeweiligen Rolle und Situation entsprechend passende Gefühle entwickeln, die eine erstaunlich exakte Übereinstimmung zu den seelischen Strukturen der realen Person, die vertreten wird, aufzeigen. Unter bestimmten Voraussetzungen scheinen sich also Gefühle zu übertragen, die nicht mehr oder nur noch schwer von eigenen Emotionen unterschieden werden können. Der Wissenschaftstheoretiker Matthias Varga von Kibéd (geb. 1950) nennt dies „repräsentierende Wahrnehmung“, der Psychoanalytiker Albrecht Mahr spricht von einem „wissenden Feld“ und der Biologe Rupert Sheldrake von Gestaltfeldern (auch morphischen Felder, vgl. zeitgeist-Ausgabe 3-2001). Wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit dem Phänomen seitens der Hochschulen sind bislang eher die Ausnahme, etwa die empirische Studie zur Semantik in Systemischen Aufstellungen im Rahmen einer Promotionsarbeit an der Universität Witten/Herdecke. (…)

Die Wirkmechanismen bei Aufstellungen sind noch nicht gänzlich erforscht

Wer haftet für die Konsequenzen, welche sich aus einer Aufstellung ergeben? Die Antwort ist einfach: derjenige, der die Verantwortung dafür übernimmt! Übernimmt etwa ein Therapeut die Leitung der Aufstellung, deutet sie auf seine Weise und beeinflusst damit den Klienten, muss er auch für die Folgen eintreten. Der Klient hat aus seiner Sicht die Verantwortung an den Therapeuten abgetreten, was Tür und Tor öffnet für Manipulation oder Übergriffe sowie damit einhergehende Verletzungen, aber auch für spätere Schuldzuweisungen. Beim Freien Systemischen Aufstellen wird indes die therapeutische Leitungsfunktion außer Kraft gesetzt, jeder leitet seine Aufstellung selbst und zeichnet allein verantwortlich für die Durchführung, d. h. für die Bestimmung sowie Befragung und Bewegung der Stellvertreter, wobei dem eigenen Interesse folgend jederzeit Grenzen gesetzt und die Aufstellung beendet werden kann, falls etwas zu unangenehm wird. Der Aufstellende kann zudem wählen, ob andere Personen Tipps einbringen dürfen und ob überhaupt eine Lösung angestrebt werden soll, oder er kann einfach nur schauen, wie sich Stellvertreter in bestimmten Situationen oder Rollen einfühlen und reagieren. (…)

Wie ist es erklärbar, dass Aufstellungen auch unter „Blindbedingungen“ funktionieren? Aus der experimentellen Quantenphysik weiß man, dass sich das Beobachtete nach seinem Beobachter richtet, also quasi eine Art Wechselwirkung vorherrscht. Dass dies auf Aufstellungen übertragbar ist, zeigt sich darin, dass selbst unwissende Stellvertreter spontan intuitiv ihr Verhalten abwandeln, sobald der Aufstellende seine innere Haltung ändert. Daraus kann der einfache Schluss gezogen werden, dass auf einer bestimmten Ebene eine resonante Verbindung bestehen muss. Beweisbar ist das nicht, denn wenn alles mit allem in Verbindung steht, folglich nichts außerhalb dieser Verbindung existiert, kann diese auch nicht von außen betrachtet werden. Oder, mit den Worten Buddhas: „Den Geist kann man nicht mit dem Geist erforschen.“ (…)

Mehr über dieses Thema in Theorie und Praxis sowie die Einordnung des Aufstellungsgedanken in systemtheoretische Überlegungen erfahren Sie in Ausgabe 2-2007.

 

LITERATUR:

 


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