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Nachlese: Kannitverstahn

Von Prof. ULRICH-JÜRGEN HEINZ

Ich weiß nun wahrhaftig nicht, wie ein Gott aussieht. Und ich weiß auch nicht, ob es ihn in der Weise gibt, wie es den Apfel gibt, den ich eben schmecke. Von dem Apfel immerhin meine ich, dass es ihn gäbe, dass er wirklich sei, zumal ich ihn sehe, spüre, rieche und schmecke – und, sofern ich ihn unausgereift vertilge, dadurch eine unangenehm beschleunigte Darmtätigkeit erleide. Nicht zu vergessen: Die anderen, die, die mich sehen, sagen: „Der isst einen Apfel.“ Diese also und ich haben gemeinsam, dass wir etwas wahrnehmen, was wir übereinstimmend als Apfel oder als Apfelessen bezeichnen.

Nun sagen viele Menschen, es gäbe einen Gott. Die einen meinen, er habe einen bestimmten Namen, die andern widersprechen. Und weitere verweisen auf die mehr als 2400 Namen, mit denen die Götter von Menschen benannt wurden und werden. Sind dies nun 2400 verschiedene Götter oder eben einer, der so viele Namen hat – so, wie es eben auch viele Kulturen gibt? Oder liegt man dazwischen richtiger?

Nun ist der göttliche Pantheon erweitert worden um Himmelsreisende, bzw. Götter wurden zu Himmelsreisenden umgewidmet, da sie seltsame Gewandungen trugen oder eben Himmelsreiseuniformen. Es ist klar, dass diese Götter sprechen, senden, fliegen, schießen, töten, botschaften und sogar lieben können, wie ihre menschlichen Berichterstatter auch. Und die fliegenden sowie die ansässigen Götter mahnen den Menschen zu all dem, was deren Gesetze und Moralregeln auch tun. Und sie drohen entsprechende Strafe an, wie die Fürsten und Büttel. Wie klar die Beziehungen wieder einmal sind: wie unten, so auch oben. Gilt die Umkehrung auch?

Als ich von „Weltuhr“ sprechen hörte, dachte ich an einen Export der Braunschweiger Atomuhr Greenwich, allwo die Zeit atomzerfallsgerecht korrigiert wird und aus einer MEZ (Mitteleuropäischen Zeit) eine GT (Greenwich Time) und daraus denn eine UTC (Universal Time Corrected) wurde. Mit solch simplem Wissen darf ich mich künftig nicht mehr in den zeitgeist wagen: Man nehme eine geometrisch scheinbar plausible Beziehung zwischen einem und mehreren Orten, setze statt den geometrischen Ortsbezeichnungen semantische Begriffe ein (statt G-Punkt beispielsweise Geschlechtsbegierde), willkürlich wählbar aus allen beeindruckenden Spielplätzen menschlichen Lernens, und unterlege eine, wohlgemerkt, lineare Chronographie – schwupps, das ist die Weltenuhr. Wobei mir eben klar wird, dass der Unterschied zwischen meiner Greenwich’schen, Chronos zeigenden Weltuhr und der Weltenuhr im „en“ liegt. Auch hier also: Es lebe der kleine Unterschied: en-te, en-de oder en-tropie?

Ich siebe schöne Regeln aus meinem Lernen
Etwa 45 mögliche Plätze werden dem von Platon ins Gerede gebrachten Atlantis zugedacht. Gesichert ist für den Außenstehenden keiner, für den jeweils Innenstehenden seiner. Das ist doch klar, oder? Für uns war Karl eben der Große. Für andere ein Herzogsschlächter, Zwangstäufer, Kronwanze, ein Lateinschulengründer und Gesetzesgeber. Nun soll er gar nicht gewesen sein? Bedeutet dies auch, dass es die Taten nicht gab, die ihm zugeschrieben wurden? Oder die Tatenfolgen? Oder ist es wie mit dem Ablass, dass zwar die Sünde vergeben, die Sündenfolge als Strafe aber abbezahlt werden muss? Wäre meine erste Annahme recht, dann wünschte ich mir weitere Historiker, welche das Dritte Reich, den Stalin’schen Kommunismus und die Schulden, die von den deutschen Regierungen des Bundes und der Länder und ihren Knechten gemacht wurden, wegbewiesen würden. Ich würde dann gern morgen schuldenfrei zu Seiner Majestät, Friedrich II., König von Preußen, zu einer philosophischen Audienz geladen werden.

Dass jeder Gedanke ein Gefühl und jedes Gefühl ein Gedanke sei, beunruhigt mich seit den Jahren nicht mehr, da ich dies schon in wissenschaftlichen Boulevardblättern als Stand der Neurowissenschaft las.

Die wachsende Erde kann ein entzückender Gedanke sein, wenn ich der Hohlwelttheorie anhange, und ein majestätischer, wenn ich newtonisch denke. Relativistisch allerdings bekomme ich Angst, wenn ich an die damit verbundenen Wechselwirkungen zwischen eben dieser präpubertären Erde und ihrem Mond und der Sonne denke: welch eine Ausbeulung der Raumzeit! Weiß jemand, wohin das führt?

Und nun der Streit der Giganten: Der Kosmos ist unendlich! Nein, er ist endlich! Meine Frage dazu: Dass er unendlich sei, bedingt, dass er endlich ist. Denn sein „Ende“ ist eine wirklichkeitsschaffende Aussage. Nur: Ist er nun sein Ende los oder ist er am Ende (nur) uns los?

Wie gefällt euch dieser (mir abgelauschte) Dialog:

Bist du sterblich? – Ja. – Dann weißt du nicht mehr als ich.
Bist du unsterblich? – Nein. – Dann weißt du weniger als ich.
Bist du vielleicht unsterblich? – Ja. – Dann weißt du weniger als ich. Denn du stirbst nicht.

Was weiß ich? – Ich weiß es nicht.
Meinen Tod weiß ich nicht, mein Leben auch nicht. Mein Herz weiß seine Arbeit ohne mich, meine Lungen wissen sie, die Därme, die hormonellen Drüsen, sogar meine Gehirne wissen ihre Arbeit. Wissen sie auch ihr Tun? Ich weiß es nicht.

Herr Heinz, was wissen Sie denn überhaupt? – Ich weiß es nicht.
Wozu nützt dann ihr ständiges Fragen und Forschen? – Ich lerne.
Sie lernen? – Ja.
Sie lernen, ohne zu wissen? – Ja.
Soll Ihr Lernen denn unnütz sein? – Nein.
Wozu dient es dann? – Ich fühl mich wohl.
Wie bitte? – Ich siebe schöne Regeln aus meinem Lernen.
Sie denken verdreht. – Mag sein. Vielleicht, weil die Erde sich dreht?

→ Erweiterte Online-Fassung, Originalfassung erschienen in zeitgeist-Printausgabe 23 (2-2004).


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