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Nachlese: Wie sprech' ich mit dir, dass du mich verstehst?

Von Prof. ULRICH-JÜRGEN HEINZ

Hörbar werden. Hörend werden. Du wirst künftig wenig allein sein ... So endete die letzte Nachlese. Diese hier beginnt mit: Sprich, lass dich hören. Und: Hör, lass mich sprechen. Wir werden miteinander wenig allein sein.

Tja, antwortete seinerzeit der Herr Heinz, als er gefragt wurde, wie das denn gehen solle, das mit dem verbindenden Sprechen und Hören, tja, wer weiß? Hier im ZeitGeist sind viele Sätze über Sprache, Sprechen, über die Wirkung der Sprache (Überzeugen und Manipulieren), über die verschiedenen Formen des Kommunizierens, über die Wortbedeutungen und die Kraft der Sprache, die bis hin zu einem harmonischen Leben alles bewirken kann, geschrieben worden. Zudem wurden mit exaktem Blick hinter die Mechanik des menschlichen Sprechens elf Stimmen aus dem Kehlzentrum ausgemacht. Doch all dies verblasst vor der Möglichkeit, jenseits der Worte sich verständigen zu können. Wie? Mit Telepathie!

Nun, Herr Heinz, falls Sie es nicht wissen sollten, es gibt mannigfach Experten, die wissen, wie das geht, wenn man sprechen will, um nicht allein zu sein: überzeugen, manipulieren, kommunizieren, deuten, stärken, harmonisieren, sprechblicken und verständigen. Was sagen Sie jetzt? – Tja, wohl nichts, es sei denn, Sie hörten mir zu. – Wie bitte? – Ich bin eingeschüchtert ob der so zahlreichen Wissenden, die so viel über das wissen, wie sie was zu diesem und jenem Zwecke zuerst zu sagen und dann zu tun und vielleicht auch zu erdulden oder erleiden haben. Ich komme mir töricht vor, all das nicht zu wissen.

Das klingt nach sokratischer Bescheidung. Vielleicht ist es auch Überhebung? Ich weiß, dass ich nichts weiß. Und du weißt, dass ich nichts weiß. Und nun? Wir messen trotzdem die Zeit mit schwingenden Pendeln und die Wege mit angereihten Stäben. Und sprechen von der Geschwindigkeit einer Schnecke, eines Läufers, eines Stromes, des Mondes um die Erde und schließlich des Lichtes, denn das Licht sei das Schnellste. Mehr messen wir nicht, weil das nicht der Konvention entspricht.

Wer nicht spricht, was er meint, redet zwar, spricht aber nicht

Darüber sprechen kann ich dennoch: über verschränkte Teilchen, die schneller sind als das Licht. Gott ist jedzeitig, er ist also die im Kosmos mehrdimensional verschränkte Immerzeitigkeit. Wie soll ich dir dies sagen, damit du es verstehst?

Wer nicht spricht, stirbt. Ich spreche zu dir. Worüber? Über mich! Gibt es etwas Interessanteres? Nein, denn ich höre dir zu, ich höre dich und (manchmal) verstehe ich dich. Was dir das bringt? Du musst (noch) nicht sterben. Du lebst. Ist das was? Da ich lebe, weiß ich nicht, ob es etwas ist, das dem Nichtleben vorzuziehen wäre. Ich könnte denn etwas versäumen. Was denn? Ich weiß es nicht.

Wer zu viel spricht, dehnt die Strukturen, in denen seine Gefühle und Bilder hängen. Das Gewebe verundichtet, manchmal zergeht es. Andererseits kann es über gefasste und strukturierte Rede oder mit ebensolchem Schweigen genesen.

Wer nicht spricht, was er meint, redet zwar, spricht aber nicht. Er hat nur sich zur Rede. Den anderen verschließt er seine Wirklichkeit. Er ist darin allein. Ein langsames Sterben.

Haben Sie Angst vor dem Tod? Nein, vor dem Sterben. Werden Sie sterben? Ja. Woher wissen Sie das denn? Die anderen sagen es, sie sprechen darüber und ich habe es gesehen.

Was haben Sie gesehen? Wie einer gestorben ist, mein Vater, meine Mutter, eines meiner Kinder. Haben Sie gesehen, dass diese gestorben sind, oder haben Sie gesehen, wie ein Körper, deren Körper, leblos wurde? Ich habe gesehen, wie die Körper unbeweglich und weißlich wurden, und dann fühlten sie sich kalt an. Haben Sie die Sterbenden und späteren Toten befragt, ob sie gestorben seien? Nein, die sprachen mit mir nicht mehr.

Wenn Sie leben, dann hören Sie und sehen Sie und fühlen und schmecken und riechen Sie. Was um Sie ist, wirkt auf Sie ein mittels Ihrer Sinne. Das sind die Empfänger von Ereignisdaten um Sie. Manchmal merken Sie ein Leben in Ihnen: das Rumpeln Ihres Darmes oder einfach der Schmerz in der Brust, wenn Ihr Herz sich vertut. Beides sind nicht Sie, das Außen nicht und das Innen, das Sie als etwas Störendes wahrnehmen, auch nicht, wenngleich Letzteres ohrenscheinlich aus Ihnen stammt.

Kennen Sie die Schnittstelle zwischen Außen und Innen? Nein, denn die Haut ist es offenbar genauso wenig wie die Übergänge der Sinnesorgane in die Nervenzellen und diese in die Gehirnnetze. Was kennen Sie denn, worüber könnten Sie mit mir sprechen, damit wir nicht allein sind? Ich bin nicht allein, ich habe doch Sie! Einsam? Wenn Sie mich nicht mehr verstehen, dann ja. Verstehe ich Sie? Ich meine, nein. Dann müssen Sie sterben. Ach bitte, verstehen Sie mich doch!

Pause.

Werden Sie mich missbrauchen oder verraten, wenn ich Ihnen verständlich geworden bin? Nein! Auch nicht, wenn Sie meinetwegen unter Druck oder in Gefahr geraten? Dann schon, dann schütze ich mich. Muss das so sein? Nein, wenn ich Sie so liebe, dass ich aus meinen Gefühlen zu Ihnen und meinen Bildern von Ihnen lebe, dann nicht. Denn dann tötete ich mit Ihnen auch mich.

Pause.

Herr Heinz, Sie sind reichlich kompliziert. So kompliziert dürfen Sie nicht sein. Da versteht Sie doch keiner ...

→ Dieser Beitrag erschien in zeitgeist-Printausgabe 22 (1-2004).


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