Kommt Zeit, kommt Mut

Oder: Die vier Mut-Stufen

Von THOMAS RÖTTCHER

Mut, ein viel bemühter Ausdruck – und doch so rar im Miteinander. Weshalb eigentlich? Woher diese Diskrepanz zwischen Anspruch und sozialer Wirklichkeit?


Der Adler: das Tier, das neben dem Löwen wohl am häufigsten mit Mut gleichgesetzt wird (Bild: paweesit/flickr.com, CC BY-ND 2.0)

 

Zuallervorderst: Was überhaupt ist Mut?

Ist es mutig, einen Bungee-Sprung zu wagen? – Eher tollkühn.

Ist es mutig, alleine durch Alaska zu streifen, um Wölfe zu erforschen? – Furchtlos trifft es besser.

Bedarf es Mut, einem Schwachen beizustehen? – Zweifelsfrei, dennoch würde ich lieber von Beherztheit sprechen. Beherztes Eingreifen, da steckt Herz drin.

Mitgefühl als Triebfeder von Zivilcourage.

Mut, den ich meine, geht noch tiefer.

Begrifflich kommt er reichlich vor: in Kleinmut und Großmut, in Hochmut und Demut, Frohmut und Wehmut. In Gleichmut, Anmut, Sanftmut, doch auch in Missmut, Schwermut, Wankelmut. In Wagemut, in Übermut oder gar in Opfermut. Sogar im Mammut steckte einmal Mut.

Allen Expressionen – Letztere außen vor – wohnt auffälligerweise ein Grundgefühl inne. Eine Stimmung oder Haltung. Eine Attitüde.

So ist das auch mit Mut an sich. Mut bedeutet, dem eigenen Gefühl zu trauen – umso mehr, je deutlicher es spürbar ist. Und erst recht entgegen dem, was andere denken und meinen.

Albert Moravia schrieb: Der Unwissende hat Mut, der Wissende hat Angst.

Nein, es ist genau umgekehrt, so wie Marie Curie es formulierte: Man braucht nichts im Leben zu fürchten, man muss nur alles verstehen.

Mehr Verständnis, mehr Klarheit.

Klarere Gedanken, klarere Gefühle.

Sicher, nicht jeder ist mit gleich viel Mut ausgestattet. Es gibt Mut-Stufen, wie ich es nenne

Immanuel Kants „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“ bekommt so eine ganz neue Bewandtnis.

Menschen brauchen Idole. In einer Gesellschaft mit mehr Schein als Sein sind Rollenvorbilder vonnöten. Mut, der von Echtheit getragen wird, wirkt magnetisch. Er regt andere an, selber mutiger zu werden – zumal in herausfordernden Situationen.

Sicher, nicht jeder ist mit gleich viel Mut ausgestattet. Es gibt Mut-Stufen, wie ich es nenne. Nur wenige Mitmenschen sind besonders mutig, das wäre Stufe eins. Häufig sind sie Einzelgänger, Pioniere. Doch sie inspirieren andere, weniger Mutige, die von Stufe zwei. Und ist die Gruppe der Mutigen groß genug, werden diejenigen der Stufe drei aktiv.

Der große Rest – jene mit sehr wenig bis gar keinem Mut – versteckt sich dort, wo es am sichersten scheint. Das kann auch der „Raum der Mutigen“ werden, womöglich eine Frage der kritischen Masse.

Sich anzupassen kann manchmal geboten sein. Mit Mut aber hat es nichts zu tun.

Mut ist ein Ergebnis von Selbstentfaltung, innerem Wachstum.

Mutig zu sein bedeutet, bei sich zu sein.

Unverfälscht.

Lebensmutig.

Jetzt schlägt Luthers große Stunde. Martin, schrei es heraus:

Ich stehe hier. Ich kann nicht anders.

Kommt Zeit, kommt Mut.