Der Neffe Freuds – oder: wie Edward Bernays lernte, die Massen zu lenken

Von HERMANN PLOPPA

Edward Bernays ist in Deutschland weitgehend unbekannt. Derweil gilt er als Vater der der „Public Relations“ und hat in seinen über hundert Lebensjahren die Welt der „westlichen Werte“ entscheidend vorgedacht und mitgeprägt: Sei es das Konzept der Produktplatzierung, das große Arsenal an Psychotricks in der Werbeindustrie oder das ganz frische „Nudging“ der Bundesregierung, welches den Bürger subtil in die „richtige Richtung“ schubsen soll – Bernays stand bei alledem irgendwie Pate. Vor ein paar Jahren erschien sein Hauptwerk „Propaganda“ in treffenderer, moderner Übersetzung. Hermann Ploppa, seines Zeichens Experte für transatlantische Seilschaften („Die Macher hinter den Kulissen“, Frankfurt/M. 2014), hat sich intensiv mit „Spin-Doktor“ Bernays befasst und seinen Einfluss tiefer ergründet. Hier seine Bilanz.

„Propaganda ist der exekutive Arm der unsichtbaren Regierung … In fast jedem Aspekt unseres Lebens, ob nun in der Sphäre von Politik oder im Geschäftsleben, in unserem sozialen Verhalten oder in unserem moralischen Empfinden, werden wir beherrscht von dem vergleichsweise kleinen Personenkreis, der über die mentalen Vorgänge und sozialen Muster der Massen Bescheid weiß. Sie ziehen die Fäden, die das öffentliche Bewusstsein steuern, und die althergebrachten gesellschaftlichen Kräfte für sich dienstbar machen. Die neue Methoden ersinnen, die Welt an sich zu binden und sie zu führen.“ 

Diese Erkenntnisse enthüllt Edward Bernays 1928 in seinem wichtigsten Buch, das den offenherzigen Titel „Propaganda“ trägt.1 Das ist das Gute an Bernays, dass er nie um den heißen Brei herumredet. Schließlich enthüllt sich hier einer der erfolgreichsten Public-Relations-Unternehmer aller Zeiten. Wenn er sich selber mit dem Wörtchen „wir“ in die Reihe der Manipulierten und klammheimlich Überrumpelten stellt, so ist das natürlich nur gekonnte Rhetorik. Lediglich eingeführt, um die Leser mitzunehmen.

„In fast jedem Aspekt unseres Lebens werden wir beherrscht von dem vergleichsweise kleinen Personenkreis, der über die mentalen Vorgänge und sozialen Muster der Massen Bescheid weiß“

Wenn wir – gemeint ist jetzt tatsächlich das manipulierte gemeine Volk – im Kino James Bond mit einem auffällig unauffällig in Position gebrachten Auto der Marke BMW durch den Bildschirm brettern sehen, dann nennt man das „Product Placement“ (Produktplatzierung) – eine Erfindung von Edward Bernays. Wenn ganze Familien sonntags in die Verkaufshallen der örtlichen Autohändler wallfahrten und voll andächtiger Erbebung vor einem Offroader mit vorgeschraubtem Kuhfänger innehalten, dann hat diese quasireligiöse Verehrung vor einem unwirtschaftlichen Blechhaufen Mister Bernays auf dem Gewissen.

Und wenn wir jetzt – nach über neunzig Jahren – Rauchergesetze erleben, die endlich anerkennen, dass Nikotin ein todbringendes Gift ist, dann verdanken wir die effektvolle Hinauszögerung dieser Erkenntnis ebenfalls Edward Bernays. Und wenn sich Kulturdezernenten nackt vorkommen, falls sie nicht mehrmals im Jahr ihre Bürger mithilfe von „Events“ auf die Fußgängermeile scheuchen, nur damit irgendwelche Geschäftsleute ihre neuesten, gänzlich nutzlosen Gimmicks verkloppen können; dann erweisen sich die Stadtväter als gelehrige Schüler Bernays‘. Ohne es zu wissen, versteht sich. Also: ein wichtiger Mann. Ein Mann, der Zeit seines Lebens 435 Firmen PR-technisch betreut hat. Zu ihnen gehören einige der weltweit größten Konzerne.

Vater aller Spin-Doktoren und Neffe Sigmund Freuds: Edward Bernays (1891–1995, Quelle: Wikimedia Commons)

 

Bernays wird 1891 in Wien geboren. Seine Mutter Anna ist die Schwester des Übervaters der Psychoanalyse, Sigmund Freud. Familie Bernays wandert bald in die USA aus. Bis zum Ersten Weltkrieg vermarktet Edward Bernays erfolgreiche Tourneen durch die USA mit Startenor Enrico Caruso oder auch mit der russischen Balletttruppe von Sergej Djagilew, nebst legendärem Tänzer Vaslav Nijinski. Als die USA in den Krieg eintreten, heuert Bernays beim halbstaatlichen Council on Public Information (CPI) an. Der Council soll die kriegsunwillige Bevölkerung der USA aus dem Stand in einen chauvinistisch-blutrünstigen Taumel versetzen. Diese Bemühungen sind nur mäßig erfolgreich.

Im CPI soll Bernays die neue Baltenrepublik Litauen den Amerikanern sympathisch machen. Er fabriziert am laufenden Band Artikel über das dortige Musikleben, die Literatur, den Sport u. Ä. Scheinbar beiläufig erwähnen die Beiträge, dass die junge Baltenrepublik sich gerade als Bollwerk gegen den Bolschewismus positioniere und damit eine wichtige Funktion im Kampf für Freiheit und Demokratie übernähme. Dankbar flicken Redakteure im ganzen Land diese kostenlosen „redaktionellen“ Beiträge in ihre Zeitungen ein. Das Beispiel hat Schule gemacht: Heutzutage sind Zeitungen auf der ganzen Welt angereichert mit solcherart „Füllartikeln“, die von konservativen und marktradikalen Denkfabriken und Stiftungen ganz selbstlos zur Verfügung gestellt werden.

Als die Waffen im Herbst 1918 schweigen, hat Bernays seine Sache so gut gemacht, dass er im Tross von US-Präsident Wilson als Berater mitfährt zu den Friedensverhandlungen in Paris. Und er staunt nicht schlecht, als Wilson von begeisterten Franzosen wie ein Held empfangen wird. Bernays weiß schließlich aus erster Hand, dass dessen berühmte „Vierzehn Punkte“ zwar gut klingen – und vielen alles versprechen –, gleichzeitig aber keinerlei Konzept zu ihrer Realisierung vorliegt. Der amerikanische Präsident ist, so weiß Bernays, im Grunde nichts weiter als ein Träger emotionsbeladener Symbole und Ideen, in die das französische Volk die eigenen Wünsche hinein projiziert.2

Wenn es im Krieg gelingt, die Massen vom Gefühl und nicht vom Verstand her zu gewinnen, warum soll man das nicht auch in Friedenszeiten nutzen?

Wieder in den USA, denkt sich Bernays: Wenn es im Krieg gelingt, die Massen vom Gefühl und nicht vom Verstand her zu gewinnen, warum soll man das Wissen darum nicht auch in Friedenszeiten nutzen?3 Kann man statt der irrationalen Träume von Freiheit und Demokratie nicht auch Autos und Seife nach demselben Schema verkaufen? Bernays eröffnet flugs eines der ersten Public-Relations-Büros überhaupt – und zwar im Herzen von New York. Seine ersten Kunden ziehen zunächst noch skeptisch die Augenbrauen hoch. Bis dahin wurden Waren beworben, indem man herausstellte, dass die Schuhe XY besonders lange halten und doppelt genäht sind. Der Schnaps AB erzeugt im Gegensatz zum Konkurrenzschnaps CD am nächsten Morgen kein Schädelbrummen. Solch altbackene Belehrung über den Gebrauchswert einer Ware ist Bernays nicht clever genug.

Und nun ist der Neffe Freuds genau der richtige Mann zur richtigen Stunde. Durch den Krieg war die Wirtschaft derart hochgefahren worden, dass sie unweigerlich implodiert wäre, hätte die Produktion nicht in irgendeiner Weise weiterfunktioniert. Also hatten die Fabriken nun zivile Güter herzustellen. Dafür musste auf künstliche Weise Bedarf geschaffen werden. Eine Fernsehdokumentation der englischen BBC4 zitiert einen Direktor der US-amerikanischen Großbank Lehman Brothers, der damals schrieb: „Wir müssen Amerika umwandeln von einer Bedarfskultur in eine Kultur des Wünsche. Die Leute müssen darin geübt werden, neue Dinge zu begehren, sogar, wenn die alten noch gar nicht richtig verbraucht sind.“

Dafür müssen die kleinen Leute natürlich auch mehr Geld in die Tasche gesteckt bekommen. Das ist jetzt möglich, weil ein neuer Berufsstand von Arbeitswissenschaftlern, allen voran Frederick Winslow Taylor (1856–1915) sowie der deutsche Psychologe Hugo Münsterberg (1863–1916), die Produktivität explosionsartig zu steigern wissen. Wenn also ein Arbeiter nach den Reformen viermal so viel leistet als zuvor, kann man ihm ruhigen Gewissens 60 % mehr Lohn vergüten, meint Taylor. Henry Ford zahlt seinen Mitarbeitern – soweit sie männlich und über 22 Jahre alt sind – im Januar 1914 mal eben einen Bonus von zehn Millionen Dollar aus. Ein Großteil der US-amerikanischen Arbeiter kann sich nach dem Ersten Weltkrieg ein bisschen mehr als die karge Überlebensration genehmigen.

Hinzu kommt, dass sich gigantische Kartelle gebildet haben. Diese wollen vornehmlich Produkte mit maximaler Profitrate anbieten. Waren, welche die Menschen wirklich benötigen, die aber weniger Profit abwerfen, überlässt man gerne mittelständischen Betrieben und Genossenschaften. Der Verbraucher soll gefälligst das kaufen, was die Kartelle produzieren. Da die Konsumenten das nicht sofort einsehen werden, muss man den Weg der rationalen Überzeugungsarbeit meiden und stattdessen den Kaufentschluss auf Schleichwegen nahebringen. Mit der Ware soll gedanklich etwas verbunden werden, das mit deren Gebrauchs- oder Tauschwert gar nichts zu tun hat.

Glimmstengel gleichzusetzen mit der Fackel der New Yorker Freiheitsstatue, das ist starker Tobak

Zum Beispiel die Befreiung der Frau. Ein Klassiker aus dem Hause Bernays. Nach dem Ersten Weltkrieg hatten die Suffragetten5 das Frauenwahlrecht durchgesetzt. Daran erinnert sich Bernays im Jahre 1929, als ihn der Chef des Zigarettenkonzerns American Tobacco, George Washington Hill, fragt, wie man den schleppenden Verkauf der Marke „Lucky Strike“ wieder in Schwung bringen kann. Bernays engagiert für die Osterparade im März 1929 in New York zehn Nachwuchsmodels. Diese sollen sich pressewirksam vor der Menschenmenge Zigaretten anzünden. Natürlich hat „Eddie“ Bernays vorher allen Presseleuten gesteckt, dass sich auf der Easter Parade ein Event mit fotogenen jungen Frauen ereignen wird. Bernays lässt seine Sekretärin Bertha Hunt ein Telegramm an die Öffentlichkeit schicken: „Im Interesse der Gleichberechtigung der Geschlechter, und um ein weiteres Geschlechtertabu zu bekämpfen, werden ich und andere junge Frauen eine neue Fackel der Freiheit anzünden, indem wir Zigaretten rauchen, während wir am Ostersonntag die Fifth Avenue herunterspazieren.“

Glimmstengel gleichzusetzen mit der Fackel der New Yorker Freiheitsstatue, das ist starker Tobak. Bislang galt Rauchen von Frauen in der Öffentlichkeit als unschicklich. Aber warum sollte man die eine Hälfte der Menschheit als Konsumenten verschmähen? In den folgenden Jahren stieg Lucky Strike zum Marktführer auf. Das wurde auch möglich durch eine weitere Neuerung, die Bernays einführte: Er engagierte Ärzte, die in Fachzeitschriften und in populären Blättchen als unabhängige Experten die gesundheitliche Unbedenklichkeit des Rauchens attestierten. Diese Ärzte priesen – für ein beachtliches Honorar von Bernays, versteht sich – die schlankmachende Wirkung des Nikotinkonsums. Nach dem Essen kann es aus ärztlicher Sicht nichts Besseres geben, als eine Zigarette, findet 1928 der ehemalige Präsident der Society of Medical Officers of Health, George F. Buchan: „... die richtige Art, eine Mahlzeit abzuschließen: Obst, Kaffee und eine Zigarrette ... die Zigarrette desinfiziert den Mund und beruhigt die Nerven.“6

Währenddessen hortet Bernays jede Menge wissenschaftlicher Expertisen, die gesundheitsschädliche Wirkungen von Nikotin nachweisen – um bei deren Veröffentlichung in den USA gewappnet zu sein. Dann hätte er sofort Gegengutachten von ihm gekaufter Mediziner in Stellung gebracht. Zudem ist er Nichtraucher und will seiner kettenrauchenden Frau das Rauchen mit allen Mitteln abgewöhnen.

Doch Edward Bernays ist nicht nur ein ungewöhnlich gerissener Werbefachmann. Er will den anrüchigen Beruf des Werbefritzen aufpolieren zu einem geachteten Berufsstand mit eigenen Ausbildungsgängen und selbstauferlegten qualitativen wie ethischen Standards. Er verleiht seiner Profession den Titel: Public Relations Counsel. Seit den frühen 1920er-Jahren hält Bernays Vorlesungen und Seminare in Universitäten ab. Seine Theorie der Public Relations (PR) – das Wort „Propaganda“ haben nach seiner Meinung die Deutschen im Krieg entweiht und wurde von ihm zunächst gemieden – fasst Bernays in zahlreichen Büchern zusammen. 1923 erscheint aus seiner Feder „Crystallizing Public Opinion“. 1928 kehrt er dann doch zu dem Unwort zurück, indem er sein nächstes Buch ganz schlicht „Propaganda“ nennt.

Bernays hat keine neuen Theorien aufgestellt. Er hat lediglich bereits entwickelte Theorien auf ihre praktische Verwertbarkeit hin untersucht und dann in handfeste PR übersetzt. Grundlage der Überlegungen seiner Vorgänger ist die Frage: Wie geht man mit den Massen um? Immer mehr Menschen leben in den Städten. Dort versammeln sie sich zu größeren Ansammlungen. Das macht den Privilegierten Angst. Der Schrecken durch den Sturm auf die Bastille 1789 ist auch Gustave Le Bon ein Stachel im Fleisch. In seinem Hauptwerk „Psychologie der Massen“ aus dem Jahre 1895 entwirft er ein düsteres Bild von den Potenzialen der neuen Öffentlichkeit: Die Masse sei grundsätzlich dümmer als die Einzelpersonen, die in ihr versammelt sind. Sie sei „weibisch“ und habe keine Grundsätze. Die Masse sei eine unberechenbare Bestie, und Le Bon ist froh, diese Bestie aus gebührender Entfernung betrachten zu können.

Eine handverlesene Elite „weiser Männer“ müsse alle schwierigen Themen in der Politik so vorkauen, dass das Volk nur noch die Option besitzt, auf vorgefertigte Fragen mit „ja“ oder „nein“ zu antworten

Auch die US-amerikanischen Theoretiker, wie etwa Walter Lippmann, Ivy Lee oder Edward Ellsworth Ross, halten am pessimistischen Bild einer Masse fest, die nur Chaos, Dummheit und Verderben stiftet. Hartnäckig ignoriert man, dass es in der großen Mehrheit der Versammlungen der Arbeiterbewegung geradezu staatstragend feierlich und gesittet zugeht. Man braucht das Bild vom Massenchaos, um sich selber als große ordnende Hand einsetzen zu können.

Der Neurochirurg Wilfred Trotter (1872–1939), der auch sozialpsychologische Studien anstellte, meint, eine Menschenmasse funktioniere im Prinzip nach denselben Gesetzmäßigkeiten wie eine Herde von Tieren. Gleichzeitig verfeinert sich jedoch der Blick auf die Gruppenzusammenhänge in der modernen Industriegesellschaft. William McDougall (1871–1938) – ein britisch-amerikanischer Psychologe, entdeckt, dass sich eine Person einer ganzen Reihe von Gruppenzusammenhängen verpflichtet fühlt, mit ganz unterschiedlichen moralischen Werten. Der einflussreiche US-amerikanische Sozialtheoretiker Walter Lippmann (1889–1974) schließlich stellt fest, dass das gemeine Volk gar nicht interessiert sei an einer qualifizierten Mitsprache an gesellschaftlichen Entwicklungen. Eine handverlesene Elite „Weiser Männer“ müsse alle schwierigen Themen in der Politik so vorkauen, dass das Volk nur noch die Option besitzt, auf vorgefertigte Fragen mit „ja“ oder „nein“ zu antworten.

Ein Schlüsselwort in dieser paternalistischen Bevormundung stellt der Begriff „öffentliche Meinung“ dar. Hatten die Eliten diese zunächst eher gefürchtet, weil sie sich gar zu oft gegen die großen Kartelle gerichtet hatte oder gegen „Warmonger“, also Kriegstreiber, so erkennt man in den oberen Etagen zunehmend, dass die öffentliche Meinung ein Werkstoff ist, den man kneten kann. So auch Bernays: „Wenn wir die Mechanismen und Motive des Gruppendenkens verstehen, ist es dann nicht möglich, die Massen zu steuern und zu reglementieren, entsprechend unserem Willen, und zwar ohne daß sie es wissen? ... Zumindest gehen Theorie und Praxis so weit erfolgreich zusammen ... daß wir in gewissen Fällen einen Umschwung in der öffentlichen Meinung erreichen, und das mit einem ausreichenden Maß an Genauigkeit durch gewisse Mechanismen. Gerade so, wie der Autofahrer die Geschwindigkeit seines Autos bestimmen kann durch die Zufuhr von Benzin.“

Es müssen Ereignisse geschaffen werden, die ein Bedürfnis beim Bürger hervorrufen. Der Bürger jedoch weiß nicht, dass sein Bedürfnis künstlich geweckt wird, das ist der Kniff dabei: „Menschen sind sich selten der tatsächlichen Gründe bewußt, die ihre Tätigkeiten antreiben.“ Ein harmloses Beispiel aus der Praxis des Dr. Bernays: Man stellt fest, dass die grüne Verpackung der Lucky Strikes bei Frauen nicht so gut ankommt. Also lässt Bernays im New Yorker Waldorf Astoria einen rauschenden Wohltätigkeitsball veranstalten, der als Motto die Farbe Grün hat. Die ganze High Society kommt komplett grün gewandet daher, und die geschmierte Presse verkündet: Dies wird eine grüne Saison. Keiner weiß, dass hinter dem Rummel Bernays und American Tobacco stehen. Der Umsatz von Lucky Strike verbessert sich.

Weniger harmlos ist da schon der Trick mit der Destabilisierung missliebiger Regierungen, der bei der Bevölkerung den Wunsch nach einer harten Hand erwecken kann. 1954 übernimmt Bernays für den US-Konzern United Fruit die Öffentlichkeitsarbeit beim Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten von Guatemala, Jacobo Árbenz Guzmán. Árbenz hatte versucht, für die Arbeiter auf Bananenplantagen bessere Löhne und Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Zudem versuchte er, die einseitige Abhängigkeit des Landes von United Fruit zu brechen. Neben Zermürbungstaktiken gehört zur Destabilisierung, die Árbenz-Regierung als Satelliten der Sowjetunion hinzustellen. Bernays fährt Linguisten auf, die Gleichklängen in der Wortwahl von Àrbenz-Leuten und dem Kreml nachspüren. An die rechtsextreme American Legion verteilt er das Traktätchen „Communism in Guatemala – 22 Facts“. Schon früher soll Bernays Agents Provacateurs bestellt haben, die gerade an dem Tag, als ein Pressepulk aus den USA in Guatemala eintraf, Randale in den Straßen der Hauptstadt veranstalteten, um die entsprechende Stimmung in den USA zu stiften.

1954 übernimmt Bernays für den US-Konzern United Fruit die Öffentlichkeitsarbeit beim Sturz des demokratisch gewählten Präsidenten von Guatemala

Als eine Firma, die Schinkenspeck verkauft, ihren Umsatz steigern will, besorgt Bernays die nötigen Expertisen von Ärzten, die empfehlen, zum guten Frühstück gehöre herzhafte Kost. Seitdem knallen sich US-Bürger morgens Kalorienbomben aus Rührei und Schinkenspeck auf den Teller. Das „Product Placement“ führte Bernays ein, indem er Maurice Chevalier in einem Film Schmuck der Firma Cartier lobreisen ließ. Bereits 1924 hatte er dem unendlich faden US-Präsidenten Calvin Coolidge die Wiederwahl gesichert, indem er Künstler im Weißen Haus antanzen ließ. Die geschmierte Presse wusste zu berichten, das dröge Staatsoberhaupt habe beinahe gelacht. Die Wähler fanden Coolidge plötzlich sehr menschlich.

Zwei der über 400 Kunden Edward Bernays‘: US-Präsident Calvin Coolidge und der Zigarettenkonzern American Tobacco (Quelle: Wikimedia Commons; unbekannt)
 

Es gab dennoch einen US-Präsidenten, der die paternalistische Fremdsteuerung durch eine ehrliche Bürgerbeteiligung ersetzen wollte: Franklin Delano Roosevelt (1882–1945). Die Fabrikanten der USA, allen voran der Unternehmerverband NAM, schossen aus allen Propagandarohren gegen Roosevelt, der dennoch erdrutschartige Wahlsiege vorweisen konnte. Eine gigantische Machtdemonstration der kapitalistischen Bevormundung stellte die New Yorker Weltausstellung von 1939 dar: Hier wurde eine wunderbare neue Welt aus High-Tech-Schnickschnack präsentiert, in welcher der Bürger nur als Konsument, nicht aber als Gestalter seiner Umgebung vorkam. Bernays entwarf hierbei den Technodom mit dem geradezu sarkastisch anmutenden Titel „Democracity“.

Eine pikante Pointe im hundertjährigen Leben des Edward Bernays zum Ende dieses Beitrags: Besonders fleißige Schüler von Bernays‘ menschenverachtenden Lehrsätzen waren Adolf Hitler und Joseph Goebbels. Der Europa-Korrespondent der Hearst-Presse, Karl von Wiegand, erzählte Bernays einmal, er habe in Goebbels‘ Bücherschrank „Crystallizing Public Opinion“ gefunden. Bernays zeigte sich betroffen. Denn er war Jude. Sein Onkel Sigmund war vor den Nazis aus Wien geflüchtet.

Doch wenn es um erfolgreiche Politikvermarktung geht, sind auch den Nazis Rassefragen egal. Hitler bekennt in „Mein Kampf“ ganz offen, er habe von der amerikanischen Propaganda unendlich viel gelernt. Zu den Lektionen aus den USA gehört, die Menschen nicht rational, sondern durch das Unbewusste zu packen. Hitler sagt, Politik müsse man nach genau denselben Regeln vermarkten wie Seife. Das war neu in Deutschland.

Das Schema, Chaos zu produzieren, um dann die gewünschte Ordnung zu verkaufen, findet heutzutage in den diversen „bunten Revolutionen“ ihre Anwendung

Vom Schriftsteller Everett Dean Martin (1880–1941) hatte Bernays die Erkenntnis gewonnen, dass man die Massen in Veranstaltungen zieht, wenn Kämpfe geboten werden. Bei den Nazis war immer was los: Saalschlachten, oder auch der berüchtigte Überfall auf das „linke“ Örtchen Coburg. Man war in der Presse. Hitler umgab sich nicht mit Argumenten, sondern mit kultigen Konsumartikeln. Hitler mit Auto. Hitler fliegt über Deutschland. Seine Events waren durchgestylt wie Rockkonzerte. Mit einem Wort, die Nazis eroberten Massenakzeptanz mit amerikanischen PR-Methoden. Sie schufen Chaos, um dann „Ordnung“ zu verkaufen.

Das Schema, Chaos zu produzieren, um dann die gewünschte Ordnung zu verkaufen, findet heutzutage in den diversen „bunten Revolutionen“ ihre Anwendung: Ob in Syrien, ob in der Ukraine – der ominöse Ruf nach dem „Regime Change“ hat seine Inspiration bezogen aus der zynischen Propagandatheorie des Freud-Neffen Edward Bernays.

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ANMERKUNGEN

  1. Englischer Originaltext abrufbar unter www.historyisaweapon.com/defcon1/bernprop.html. Die Zitate im Artikel wurden vom Autor ins Deutsche übertragen, stets bemüht, möglichst nah am Ton des Originals zu bleiben.
  2. Siehe auch: Hermann Ploppa: Mit 14 Phrasen in den Krieg. Erschienen in „junge Welt“ vom 14.12.2007, online unter www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/2007/12-14/007.php
  3. Vgl. auch das Interview mit Edward Bernays in „The Century of the Self“ (siehe Anm. 4), aufrufbar unter www.youtube.com/watch?v=5dtg-qFPYDE
  4. „The Century of the Self“, eine vierteilige TV-Dokumentation von Adam Curtis. Die erste Folge befasst sich vornehmlich mit Edward Bernays. http://en.wikipedia.org/wiki/The_Century_of_the_Self
  5. Suffragetten: Eigenbezeichnung von Frauenrechtlerinnen in England und den USA Anfang des 20. Jahrhunderts (von engl. suffrage = Wahlrecht)
  6. Zitiert nach: Larry Tye: The Father of Spin. Edward L. Bernays and the Birth of Public Relations. New York 2002. Dort S. 25. Ein vornehmlich biographisches Buch.

 

LITERATUR