Avaaz.org und der geheime Informationskrieg um Syrien

Was Sie über die Kampagnenorganisation wissen sollten, bevor Sie klicken

Von FRIEDERIKE BECK

Etwas tun gegen die herrschenden Ungerechtigkeiten, wenigstens einen kleinen Beitrag leisten zur Rettung der Welt – das oder Ähnliches haben wohl die meisten im Kopf, wenn sie im Rahmen eines Aufrufs ihre Stimme abgeben oder gar einen gewissen Betrag spenden. Dabei gehen wir wie selbstverständlich davon aus, dass die Kampagnenmacher selbst aufrichtige Idealisten sind. Doch was, wenn nicht? Nachdem der Autorin Merkwürdigkeiten bei verschiedenen Aktionen von Avaaz.org, einem der weltgrößten Kampagnenbetreiber, auffielen, ging sie der Sache nach und brachte Überraschendes zum Vorschein. Der Artikel liefert Antworten auf Fragen wie: Wer steckt hinter Avaaz, wie wird die Organisation gesteuert und welche Rolle spielt sie tatsächlich auf der internationalen Bühne?

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Zugegeben, ich hab’s auch schon mal getan – bei Avaaz.org etwas unterschrieben und den Spendenknopf gedrückt. Irgendwoher hatte ich eine E-Mail erhalten mit einem Aufruf, der sich gegen Bienen gefährdende Pestizide wandte. Ich unterzeichnete online und bin seitdem „Mitglied“.

Es blieb jedoch nicht bei der Rettung von Bienen, Walen und Nashörnern, sondern wurde richtig politisch. Letztes Jahr häuften sich im Zusammenhang mit Libyen hochemotionale Aufrufe zugunsten der „Rebellen“ und gegen Gaddafi, und jetzt – same procedure like last year – Aufrufe für die Aufständischen in Syrien und gegen Assad. Ein knapper, drastischer Bericht im Agitprop-Stil beschreibt jeweils die Notwendigkeit des Handelns für die Avaaz-„Mitglieder“ per Onlineunterschrift und/oder Spende. Das Ergebnis kontrolliert ein Unterschriftenzähler: Kein Zweifel, da ist mächtig was los, im Sekundentakt regnet es neue Unterschriften.

Kein Zweifel, da ist mächtig was los, im Sekundentakt regnet es neue Unterschriften

„Avaaz ist ein weltweites Kampagnen-Netzwerk, das mit Bürgerstimmen politische Entscheidungen beeinflusst“, so heißt es vollmundig auf der Internetpräsenz. „Avaaz-Mitglieder stammen aus allen Winkeln der Erde und Gesellschaftsschichten. Seit 2007 wurde Avaaz zu einer gewaltigen globalen Bewegung, die politische Entscheidungen weltweit beeinflusst. Avaaz hat eine einfache demokratische Mission: Gemeinsam die Lücke zwischen der Welt, die wir haben und der Welt, die wir uns wünschen zu schließen. Avaaz mobilisiert Bürgerstimmen, um dringende Krisen zu bewältigen.“

Die Welt in Aktion versetzen, möchte der Kampagnenbetreiber Avaaz. Die Frage ist nur, in wessen Auftrag und für welche Interessen
 

Die in mehreren Weltsprachen auftretende Organisation, auf vier Kontinenten präsent, verspricht den Unterzeichnern, an geeigneter Stelle, ganz oben, Druck auszuüben. Man findet sich in eine weltweite Bewegung integriert, hochprofessionelle Aktivisten an der Spitze, die Kampagnen lostritt, um im Ergebnis sagenhaft erfolgreich zu sein, so scheint es. Avaaz gibt sich jung, engagiert, handlungsorientiert – die Internetgeneration in Aktion.

In einem ruhigen Moment jedoch müsste man sich eingestehen, dass man herzlich wenig von Avaaz weiß, die angeblichen Erfolge der Kampagnen kaum überprüfen kann. Das einzige feststellbare unmittelbare Resultat ist lediglich eine starke Vermehrung von Spam im Postfach …

Mit dem Ausfüllen eines knappen Internetformulars und der Unterschrift bei irgendeiner Onlineaktion wird man augenblicklich „Mitglied“; der Mitgliederzähler befand sich beim Verfassen dieses Artikels bei etwa 13,7 Mio. solcher Mitgliedschaften weltweit und ständig werden es mehr. Avaaz-Aufrufe strotzen vor Selbst- und Sendungsbewusstsein, trillern die Empfänger mit hohen Dringlichkeitsstufen und behaupten, dass vom unmittelbaren Handeln der Mitglieder Leben und Tod anderer abhinge. Die Aktionsplattform hält ihre Mitglieder laufend über ihre Kampagnen auf dem letzten Stand. Die eigene Durchschlagskraft wird damit belegt, dass wieder einmal bei einem G20- oder G8-Gipfel Avaaz-Aktivisten, mit Unterschriften beladen, bei den Entscheidungsmachern selbst „Druck machten“ und Entscheidungen hätten beeinflussen können. Avaaz – eine moralische Instanz, Weltgewissen und global Player, „die Welt in Aktion“? (Avaaz-Slogan).

Avaaz gibt sich jung, engagiert, handlungsorientiert – die Internetgeneration in Aktion

Fangen wir an nachzuprüfen!

Avaaz wurde im Januar 2007 in New York gegründet und startete mit einem Kapital von einer Million US-Dollar. Im Januar 2011 konnte die Organisation sich zum ersten Mal in allen Bereichen (Angestelltengehälter, Büromieten, Kosten für die Kampagnen) durch Spenden ihrer Mitglieder finanzieren, so die „Times“2. Begründer sind eine Reihe von Nicht-Regierungsorganisationen (NROs), verschiedene US-Stiftungen sorgten für die Anschubfinanzierung.3 Nachfolgend eine Liste der involvierten Organisationen:

George Soros, Open Society Foundations: acht Milliarden Dollar für Transformation
 
(abgelichtet auf dem World Economic Forum in Davos 2010, Quelle: Wikimedia Commons)
 
 
  • ResPublica, eine US-NRO, die Berufsaktivisten trainiert, die sich für „Good Governance“ und das Gute schlechthin einsetzt. Res Publica startete 2001/2002 als Pilotprojekt in Sierra Leone und wurde offiziell im Dezember 2003 gegründet. Die NRO hat drei Vollzeit-Stipendiaten, unterstützt durch ein größeres Netzwerk der „Freunde der Res Publica“ und ein Global Advisory Board. Ihr Sitz ist in New York. Die Organisation nimmt für sich in Anspruch, Avaaz „erfunden“ zu haben. Verfolgt man die Ursprünge von ResPublica, so finden sich im Hintergrund u. a.
  • Open Democracy, eine NRO, die gefördert wird vom währungskriminellen, vorbestraften Börsenspekulanten George Soros4, der Rockefeller Foundation, dem Rockefeller Brothers Fund, der Ford-Foundation, Atlantic Philantrophies, eine US-Stiftung, die „strategische Philantrophie“ übt und Politik in ihrem Sinne finanziell unterstützt
  • sowie die Open Society Foundations, ebenfalls ein Soros-Projekt.5
  • Weiterhin das Center for American Progress, ein politischer Denktank, welcher der Obama-Administration nahe steht,
  • das Open Society Institute (gehört zu Open Society Foundations) und
  • die International Crisis Group6, in deren Vorstand u. a. George Soros und Joschka Fischer sitzen; sie wird von Ölkonzernen wie Chevron und Shell beraten und von einem Mix aus US-Stiftungen, Milliardären und westlichen Regierungen finanziert. Die internationale Krisengruppe mit Hauptquartier in Washington DC unterhält 17 Stützpunkte im Ausland und arbeitet mit „Analysten“ in 50 verschiedenen krisengeplagten Ländern. Die zehn „Forschungsgebiete“ der Organisation sind: Islamismus, Gewalt und Reformen, Energiepolitik, die Doktrin der „Responsibility to Protect“ (als die behauptete Verantwortung, sich in die Angelegenheiten souveräner Staaten einzumischen zu müssen, wenn es um den Schutz der Zivilbevölkerung gehe), Frieden und Gerechtigkeit, Gender, Klimawandel, internationaler Terrorismus, Demokratisierung, die EU und ihre Fähigkeit zum Engreifen in Krisen, HIV/AIDS als Sicherheitsproblem. Diese Themen decken sich ganz auffällig mit dem Interessenspektrum von Avaaz.

Weitere Avaaz-Mitgründer sind:

  • MoveOn.org, eine 1998 gegründete, u. a. von George Soros finanzierte US-NRO, die politische Themen nach vorn bringt. Sie erprobte in den USA die Möglichkeit von Internet-Kampagnen, die dann für Avaaz weltweit umgesetzt wurde.
  • Service Employees International Union, eine US-Gewerkschaft, die 28 Millionen US-Dollar für Obamas Wahlkampf spendete und
  • GetUp!, eine australische Kampagnen-Organisation ähnlich Avaaz.

Neben NROs standen jedoch auch Einzelpersonen als Gründer von Avaaz bereit (Es finden sich interessante personelle Überschneidungen mit einigen zuvor genannten Organisationen):

  • Da wäre als erstes Ricken Patel, der Avaaz-Präsident, ein Kanadier, russisch-englisch-indischer Herkunft,
  • Tom Pravda von Integrity, eine Gruppe, die Analysen aus Krisenregionen liefert,
  • der ehemalige US-Kongressabgeordnete Tom Perriello, Präsident des Center for American Progress Action Fund,
  • MoveOn.org-Direktor Eli Pariser,
  • der australische Unternehmer David Madden, Mitbegründer von GetUp!, arbeitete für die Weltbank,
  • Jeremy Heimans, Mitgründer von Purpose.com, Berufsweltverbesserer und McKinsey-Berater und
  • Andrea Woodhouse, Weltbank-Mitarbeiterin sowie
  • Ben Brandzel7, ehemaliger Kampagnendirektor bei Avaaz, heute dort im Vorstand, als „Progressive Online Organizer“ tätig. Lebt in Washington DC und Berkeley.

Der Avaaz-Vorstand besteht zurzeit aus dem Präsidenten Ricken Patel sowie Eli Pariser und Ben Brandzel. Weiterhin gibt es 52 festangestellte „Avaazer“.

Schon an diesem Punkt lässt sich sagen, dass es sich bei Avaaz wohl kaum um eine „Graswurzelbewegung“ junger Idealisten handeln kann

Schon an diesem Punkt lässt sich sagen, dass es sich bei Avaaz wohl kaum um eine „Graswurzelbewegung“ junger Idealisten handeln kann, sondern um eine von äußerst mächtigen und extrem reichen US-Eliten gegründete Organisation.

Ben Brandzel und das Konzept des modernen Internet-Kampagnen-Aktivismus

Ben Brandzel spielt eine besonders interessante Rolle, denn er ist einer der führenden Köpfe hinter dem Konzept des modernen Online-Aktivismus, welches für das Verständnis von Organisationen wie Avaaz unerlässlich ist:

Avaaz-Vorstand Ben Brandzel (Quelle: Irekia gobierno abierto)
 

Das Internetportal Jewcy.com beschreibt Brandzels Erfolgsspur so: „Bens Ergebnis ist mehr als beeindruckend: Er fing als Kampagnen-Direktor bei MoveOn.org an und half dabei, sie zur größten Online-Graswurzelbewegung und Abstimmungsnetzwerk im Internet zu machen. Danach wurde er Direktor von New Media Campaigns für Barack Obamas Organizing for America [die Nachfolgeorganisation von Obama for America, die Wahlkampforganisation für Barack Obama aus dem Jahr 2008, Anm. d. Aut.] Der Typ zu sein, den der bisher mediengewandteste Präsident holt, um dabei zu helfen, 20 Millionen Unterstützer zu mobilisieren und mitzuhelfen, das historische Gesundheitsreformgesetz durchzubringen, bedeutet offensichtlich keine kleine Aufgabe. Zum jetzigen Zeitpunkt ist Ben Direktor für Strategic Incubation [= strategisches Ausbrüten, Inkubation] am Citizen Engagement Lab mit Sitz in Washington DC und Bekeley, Kalifornien. Seine Mission besteht darin, dabei zu helfen, in den Vereinigten Staaten und weltweit neue, fortschrittliche Online-Organisationen zu entwerfen, aufzubauen und zu lancieren.8

Das Citizen Engagement Laboratory (CEL), also das Labor für Bürgerengagement, beschreibt seine Vorgehensweise wie folgt: Digitale Medien und Technologie sollen Anhängern dazu verhelfen, kollektiv und konsequent zu handeln. Permanente Funktionen sind Kampagnen, Medien/Kommunikation und Organisieren.9

Brandzel liefert aber offensichtlich nicht nur das technische Gerüst für Onlinekampagnen von Aktivistennetzwerken, sondern setzt auch einschlägiges psychologisches Wissen um.

Das „Labor“ beschreibt seine Strategie wie folgt: „CEL will Projekte ausbrüten und unterstützen, die ganz normale Leute dafür engagieren, einen Wandel herbeizuführen. Die Projekte, an denen wir arbeiten, unterscheiden sich hinsichtlich Reichweite und Ziel aber sie teilen ein gemeinsames Modell für Engagement, das damit anfängt, Menschen Informationen zu liefern, die mit einfachen, simplen Aktionen verbunden werden. Sobald Menschen handeln, werden sie Mitglieder von ständigen Gemeinschaften und Kampagnen, wodurch wir mit der Zeit ihr Engagement vertiefen wollen. Auf diese Weise stricken wir getrennte organisatorische Momente zu Bewegungen für den sozialen Wandel zusammen. Dieses Modell basiert auf dem Konzept von Mitgliederservice: Wir dienen unseren Mitgliedern, indem wir ihnen helfen, bei Themen, die ihnen wichtig sind, in Aktion zu treten und indem wir ihr Engagement in allen Aspekte des bürgerlichen und politischen Lebens, einschließlich des Wählens, erleichtern. Dadurch werden unsere Kampagnen und Gemeinschaften zu vertrauenswürdige Informationsquellen und Gelegenheiten für Aktionen. Unsere Arbeit ist in drei Hauptbereiche unterteilt: Gründung von Communities, Design und Durchführung von Kampagnen und Modellinnovation.“

Analysieren wir:

Informationen werden mit leicht zu erfüllenden Aktionen für die Klientel verknüpft (Köder, Aufhänger), der „Erfolg“ führt zum schnellen Erfolgserlebnis (Belohnung) und potenziell zu Weiterem, dadurch entsteht u. U. eine Gewohnheit – eine „Mitgliedschaft“ in einer Community, in Wirklichkeit eher das Surrogat bzw. die Illusion einer Gemeinschaft. Entlarvend ist, wie der CEL-Theorie nach eine Kampagnenorganisation zu einer „vertrauenswürdigen Informationsquelle“ wird: Nicht etwa durch die Qualität der Information und eine transparente, nachvollziehbare Informationsleistung, sondern durch die hohe Qualität eine Serviceleistung, die durch die Art der Information anschließendes Engagement erleichtert! Die Information wird also durch die nachfolgend vorgeschlagene Aktion in den Augen der Klientel zu einer seriösen. Subtile Manipulation?

CEL beschreibt das „strategische Ausbrüten“ von Gemeinschaften wie folgt:

„CEL inkubiert Bemühungen, sich zu organisieren, die auf Themen und Identität basieren und speziell auf unterversorgte Communities abzielen. Wir stellen den Support (Kampagnenstrategie, Medienproduktion, strategische Öffentlichkeitsarbeit, Spendensammlung) und Infrastruktur (Technologie, Rechtsberatung und interne Infrastruktur), die soziale Unternehmer in die Lage versetzen, effektive Initiativorganisationen schnell zu starten und wachsen zu lassen.“

Die Information wird also durch die nachfolgend vorgeschlagene Aktion in den Augen der Klientel zu einer seriösen

Zum Thema Kampagnendesign und deren Ausführung heißt es:

„CEL entwickelt hochwirksame und Stützpunkt-bildende Kampagnen in Verbindung mit von CEL inkubierten Gemeinschaften und Partnerorganisationen. Unserer Kampagnen kreisen um kritische Themen und richten sich an eine breite progressive Öffentlichkeit, konzentrieren sich auf klare Ziele, liefern konkrete Siege und verbreiten wichtige progressive Berichte und Werte.“

CEL über Modell-Innovation:

„Wir bemühen uns ständig darum, Aspekte des Modells des Technologie befeuerten Sich-Organisierens zu erneuern, identifizieren neue Strategien, um unsere Zielgruppen zum Engagement zu bringen mit dem Schwerpunkt auf technologischen Hilfsmitteln.“

Ben Brandzel fasst die gemeinsamen Strategien von Avaaz, MoveOn.org und GetUp! im „Ecampaigning Forum“ stichwortartig folgendermaßen zusammen:10

  • Dringlich und schnell, manchmal aus sich heraus klar, aber auch durch „Wir halten es nicht mehr aus”, eine anstehende Parlamentsabstimmung, kann ein Gefühl sein, immer über den Eindruck von Dringlichkeit nachdenken.
  • „Bauchgefühl“ - klare „Bauchgefühl“-Bilder, z. B. Hans Blix, wie er im Irak umhergeht, David Hicks in Guantanamo, Mönche die geschlagen werden.
  • Klare Wirkung. Wie verbindet man Leidenschaft, Bauchgefühl und Dringlichkeit mit dem wichtigsten letzten Schritt: Wie wird das eine Entscheidung, auch aus dem Bauch heraus, beeinflussen.
  • Hohe Energie/hohes Informationsniveau. Verhältnis von Energie/Leidenschaft und der Information, die eure Unterstützer darüber haben. Die besten Kampagnen kombinieren hohe Energie mit hohem Informationsniveau,– oft von den Medien – es ist in den Nachrichten, sie wissen davon. Man braucht zumindest ein Element. Wenn man keine Informationen hat, muss man eurer Klientel signalisieren, „der Augenblick ist jetzt da“. „Große Leidenschaft“ bedeutet „hohe schon vorhandene Leidenschaft – sich schon Gedanken darüber gemacht zu haben.
  • Alles Teil einer nachhaltigen Kampagne. Eine Vielzahl von Emails, eine Vielzahl von Versuchen, sorgfältiges Timing.

Analysieren wir:

Avaaz erklärtes Ziel ist die Mobilisierung von Menschen weltweit (= Klick: Unterschrift und/oder Spende). Ricken Patel: „Man kann Geld online schneller sammeln als auf irgendeine andere Art und Weise." (The Guardian vom 2.3.2012). Mit diesem Ziel im Blick setzt Avaaz ganz offensichtlich psychologische Erkenntnisse ein: Denn für das Ziel der Mobilisierung liefert die Organisation nicht saubere, nachvollziehbare Informationen, was den (langsameren) Verstand, die Rationalität der Avaaz-Kunden ansprechen würde, sondern dieser wird bewusst mit Bildern überrannt bzw. letztlich ausgeschaltet. „Bauchgefühl“-Bilder sollen in Kombination mit der Vermittlung von Dringlichkeit und Leidenschaft in den Appellen der Kampagnen Emotionen hervorrufen, welche die gewünschte Reaktion (= Klick: Unterschrift und/oder Spende) produzieren. Avaaz nützt für seine Kampagnen das „hohe Informationsniveau“ seiner Klientel durch die Medien. Der Kampagnenjournalismus der Massenmedien wird also von der Organisation für ihre jeweiligen E-Kampagnen ausgenutzt. (Beispiel Klimaerwärmung, CO2). Aus dieser Übermacht an Input („Information“) sollen sich dann die Kunden/Nutzer von Avaaz die gewünschte Realität erschaffen – „ihr Wissen“.

Für das Ziel der Mobilisierung liefert die Organisation nicht saubere, nachvollziehbare Informationen, was den (langsameren) Verstand, die Rationalität der Avaaz-Kunden ansprechen würde, sondern dieser wird bewusst mit Bildern überrannt bzw. letztlich ausgeschaltet

Sich der hohen Energie (eine „Vielzahl“ von E-Mails, Dringlichkeit, Leidenschaft) der Kampagnen zu entziehen, sie zu hinterfragen, bedeutet für den Einzelnen zunächst einen noch höheren Energieaufwand zu betreiben und sich ganz allein Informationen zu erarbeiten, was eine Einzelperson im Durchschnitt mangels Zeit, Möglichkeiten und Erfahrung kaum leisten kann. Avaaz rechnet offensichtlich in seinen Kampagnen auch mit kurzen Aufmerksamkeitsspannen seiner Kunden. Eine maximal komprimierte Information in Kombination mit einem entsprechenden Bild muss reichen, um den User zur Aktion zu bringen.

Typische Avaaz-Agitprop vom 4.1.2012 über Syrien: Von der „Information“ zur Aktion. Im unteren Bereich der Seite werden auch ein Facebook- und ein Twitter-Button angeboten. Das Motto: „Senden und Spenden

 

Brandzel hat Avaaz das vorher mit MoveOn.org in den USA erprobte hochmoderne Erfolgsrezept für E-Campaigning, also elektronische Kampagnen durchzuführen, geliefert, um zu der weltweiten Kampagnen- und Spendenmaschinerie zu werden, die sie heute ist. Es wird immer klarer, dass es sich hier keinesfalls um eine (basisdemokratische) Bewegung von unten handelt, sondern um ein typisches elitär gesteuertes Netzwerk mit Top-down-Führungsstruktur, das sich nur den Anschein einer „Graswurzel-Bewegung“ gibt: Kampagnen werden lanciert, Stützpunkte werden gegründet, Communities werden „strategisch inkubiert“.

E-Campaigning ist heute ein eigenes Berufsfeld geworden, das, technisch hoch gerüstet, auch psychologische Erkenntnisse umsetzt, um Kampagnen zum Erfolg zu führen.

Der Avaaz-Präsident Ricken Patel bringt es auf den Punkt: „Wir erleben gerade weltweit eine technologische Revolution, wie es sie noch nie gegeben hat. Schon heute gibt es eine Milliarde Menschen mit Internetanschluss und zwei Milliarden Menschen mit Handys. Das bietet uns die Chance, die Menschen global zu vernetzen und ihre Anliegen zu artikulieren.“

„Ihre“ Anliegen oder „unsere“ – das ist hier die Frage.

Wer ist Ricken Patel?

Gründer und Chef von Avaaz: Ricken Patel (Foto: Sun News)
 

Beleuchten wir nun die Person des Avaaz-„Paten“ und -Chefs Ricken Patel: Der Kanadier und Brite ist nicht irgendwer: Er studierte am Elite-College Balliol in Oxford und an der Kennedy School der Harvard-Universität und hat einen Abschluss in Politik. 2009 wurde er vom Weltwirtschaftsforum in Davos 2009 zum „Young Global Leader” gekürt. Vor der Gründung von Avaaz 2007 arbeitete er u. a. für folgende Organisationen:

  • Die International Crisis Group (George Soros et al.) als Konfliktanalyst,
  • die Rockefeller Foundation,
  • die Simons Foundation,
  • die Bill & Melinda Gates Stiftung,
  • das International Center for Transitional Justice, eine US-NRO mit Sitz in New York, die nach einer von der Ford-Foundation durchgeführten Strategie-Konferenz 2001 gegründet wurde. Die Organisation will Gräueltaten und Menschenrechtsverbrechen vor Gericht bringen,
  • und für Res Publica.

Patel war für diese Organisationen in Sierra Leone, Liberia, Afghanistan und im Sudan. Worin dort genau seine Aufgaben bestanden, ist nicht zu ermitteln.

Der Avaaz-Präsident gehört ganz offensichtlich zur globalen Superklasse und arbeitete sein ganzes bisheriges Leben lang ausschließlich für US-amerikanische Eliten bzw. deren Projekte

2009 wählte ihn die „Huffington Post“ zum „Ultimate Gamechanger in Politics“, also zum ultimativen, grundlegenden Politikveränderer. Der Avaaz-Präsident gehört ganz offensichtlich zur globalen Superklasse und arbeitete sein ganzes bisheriges Leben lang ausschließlich für US-amerikanische Eliten bzw. deren Projekte. Patel „hat ein vorrangiges Ziel: Die weltweite öffentliche Meinung zu einem entscheidenden globalen Schlüsselfaktor zu machen – vom Klima, über Sicherheit bis zu Menschenrechten“, so die „Huffington Post“. Und wer macht die öffentliche Meinung? Die Massenmedien, Ricken Patel, Avaaz?

Wie demokratisch ist Avaaz wirklich?

Avaaz begann direkt nach seiner Gründung 2007 als erstes mit einer Kampagne zum Thema Klimawandel und offenbarte damit seine Nähe zu Al Gore („Eine unbequeme Wahrheit“), dem damaligen Klima-Popstar der US-Demokraten.

Zur Erinnerung: Das Thema des menschenverursachten Klimawandels (durch Emission von CO2) ist wissenschaftlich sehr umstritten und keinesfalls abschließend geklärt oder ausdiskutiert (vgl. auch zeitgeist-Printausgabe 29). Die CO2-Theorie musste 2009 wegen der Skandale an der East Anglia University (Datenfälschungen, „Climategate“) und offensichtlich abnehmenden Durchschnittstemperaturen in den letzten zehn Jahren bereits Rückschläge hinnehmen. Das Thema ist, unabhängig von dem Streit um Wahrheit, in der Sache, ein typisches Elitenprojekt, dass weit davon entfernt ist „aus der Mitte des Volkes“ – welches auch immer – zu kommen (dort hieß es einmal Heimat-, Natur- oder Umweltschutz). Im Kern geht es um Regulationsinstrumente, die in die Wirtschaft, in die Nahrungsmittelerzeugung und die Leben der einzelnen Menschen ganz konkret eingreifen, inklusive der Handel mit Klimazertifikaten (Emissionsrechten), die im Rahmen des Emission Trading System (ETS) der EU über Börsen und auch direkt zwischen Brokern gehandelt werden. Eine Vielzahl von Zwischenhändlern ermöglicht es Betrügern und Spekulanten, sich einzuklinken und am Geschäft zu beteiligen, bevor die Zertifikate die Endkunden erreichen. Klimapolitik hat überdies die Lebensmittelerzeugung und die Energieerzeugung in Konkurrenz gebracht (Bsp.: Energiepflanzen, „heizen mit Weizen“). Um es einmal auf eine Kurzformel zu bringen: Klimapolitik macht das Leben teurer und komplizierter, besonders für die Armen dieser Welt. Trotzdem schaffte es das Thema zeitweilig auf Platz eins in den globalen Charts der Menschheitsprobleme – oder eher der globalen Eliten?

Links: Avaaz-Plakat zum Klimagipfel in Bali 2007: Apokalyptische Bilder, bewusste Parallele zur Symbolik der Titanic, emotionaler, leidenschaftlicher Text: Der Versuch, den Verstand auszuschalten. Daneben zum Vergleich: Kinoplakat zum Film "Titanic" (1997) 

 

Avaaz wurde im Juli 2007 zum offiziellen weltweiten Kampagnenpartner von Al Gore und den Live-Earth-Konzerten. Avaaz-Mitglieder organisierten am Abend der Events Tausende von Veranstaltungen in über 100 Ländern, und Zehntausende unterschrieben das Klimaversprechen (!), eine Art Gelöbnis, um konkrete persönliche Schritte zu unternehmen.

Es scheint, dass bei Avaaz die Kampagnen-Themen durch das Avaaz-Direktorium vorgegeben werden

Eine unübersehbare Anzahl prominenter Konzertpartner (u. a. Bon Jovi. Duran Duran, Lenny Kravitz) und Moderatoren (Leonardo di Caprio, Al Gore und David de Rothschild) emotionalisierten das Thema und produzierten ihrerseits durch die gigantischen weltweiten Konzertserie mindestens 110.000 Tonnen CO2, wie der „Spiegel“ damals schrieb.

Es scheint, dass bei Avaaz die Kampagnen-Themen durch das Avaaz-Direktorium vorgegeben werden, oft unter Ausnutzung von bereits angelaufenen Kampagnen der Massenmedien (was ihnen schon den Vorwurf von Trittbrettfahrerei einbrachte). Für die Themenwahl stehen Avaaz aber auch externe Spezialisten zur Verfügung. Es gibt, zumindest vordergründig, gewisse demokratische Elemente bei der Themensetzung, wie relevant sind diese aber wirklich?

Avaaz behauptet, die Kampagnenthemen auch in Abstimmungen unter seinen „Mitgliedern“ zu erheben. Dafür werden jährliche Tests bzw. Befragungen durchgeführt. Allerdings waren es letztes Jahr nur 10.000 (!) Mitglieder, so die „Times“ vom 9.2.2011. Das sind gerade mal ca. 0,073 % (aktuell 13,7 Mio. Mitglieder)!11

Analysieren wir:

Die von Ricken Patel und seinem professionellen Stab (mit nach eigenen Aussagen sehr guten, „konkurrenzfähigen“ Managergehältern) ausgewählten Themen werden vorab einer begrenzten Zahl von Mitgliedern vorgelegt. Die Ergebnisse dieser Befragungen sind letztlich für die Mitglieder nicht überprüfbar; sie müssen sie Avaaz einfach glauben.

Was als basisdemokratische Entscheidung ausgegeben wird, ist eher eine Art „Versuchsballon“, wobei an wenigen Mitgliedern getestet wird, ob eine Kampagne „funktioniert“. 90 % funktioniere zunächst nicht, so Avaaz, d. h. man nähert sich einer guten Kampagne nach dem Versuch- und Fehlschlag-Prinzip.

Allein schon die Auswahl bzw. die Erhebung einer Angelegenheit zum Thema, verleiht ihr eine Bedeutsamkeit aus sich heraus. Dabei kann die Organisation es sich durchaus leisten, Themen, die vermutlich einzig den Sinn haben, Sympathien zu generieren, auf die Agenda zu setzen. Beispiel: „Save the Bees“, „Rettet die Wale“ oder Rupert Murdoch, den Medientycoon. Letzterer war bereits „angeschossen“, als Avaaz das Thema auch für sich entdeckte. Weder habe ich mutmaßlich mit meiner Unterschrift eine Biene gerettet, noch am Schicksal Murdochs – dem es übrigens, längst aus den Schlagzeilen heraus, wieder ganz prächtig geht – etwas ändern können, so steht zu befürchten. Murdoch hat nach dem Abhörskandal lediglich ein Boulevardblatt („News of the World“) einstellen müssen – das war’s auch schon. Sein Medienimperium ist kaum geschmälert und auch nicht seine prinzipielle Fähigkeit Politiker zu bestechen oder Mitarbeiter zu belauschen.

Aber wie wir bereits sahen, geht es ja Avaaz nicht um Rationalität, sondern im Gegenteil darum, Emotionen zu wecken und Gefühle zu erzeugen, und wenn es das Gefühl ist, mit meiner Unterschrift etwas bewirkt zu haben. Die Behauptung einer erfolgreichen Kampagne ist letztlich nicht überprüfbar, die Akteure sind einfach zu weit weg; sowohl Avaaz und sein professioneller Mitarbeiterstab, als auch politische Akteure auf irgendeinem G8- oder G20-Gipfel. Der Avaaz-Anspruch, eine Art basisdemokratische Graswurzelbewegung zu sein, stößt fühlbar an Grenzen da, wo Überprüfbarkeit aufhört. Das ist auch die Hauptkritik am Anspruch der Organisation, eine Art planetares Menschheitsforum, eine bessere UNO oder eine digitale Weltdemokratie zu sein: Demokratie ist letztlich nur in überschaubaren Räumen möglich bzw. durchführbar – dort, wo Transparenz zugelassen wird und überprüfbar ist. Avaaz – mehr gesteuerte Klickokratie als Demokratie?

Allein schon die Auswahl bzw. die Erhebung einer Angelegenheit zum Thema, verleiht ihr eine Bedeutsamkeit aus sich heraus

Schauen wir uns die letzte Mitgliederbefragung (2010)12 und die Themenauswahl an (Teilnehmer waren bis Januar 2010 48.138 Avaazer):

Die erste Frage war die nach der Priorität. Avaaz gab sechs Themenbereiche vor, also bereits eine Vorauswahl: Erschreckend ist, dass die Avaaz-Mitglieder offensichtlich dem Thema Klimawandel eine höhere Priorität einräumten als den Themen Krieg/Frieden und Völkermord. Das Klima ist für Avaaz unantastbar, nicht die Würde des Menschen bzw. das menschliche Leben! Doch Krieg ist bekanntlich nicht nur die größte denkbare Katastrophe im Leben des Einzelnen und einer Gemeinschaft, sondern auch ein Verbrechen an vergangenen und kommenden Generationen durch die Zerstörungen, die er hervorruft – und eine Ressourcenverschleuderung ohnegleichen.

Auch ein zur Diskussion gestellter Themenkatalog (Punkt 4) bringt als Sieger wieder das Thema Klima hervor. 73 % der Befragten setzten hier eine Priorität. Weit abgeschlagen dahinter landete z. B. das Thema „Guantanamo schließen, Folter untersuchen und verhindern“ (nur 27 %) und „Krieg gegen den Iran stoppen und die Bildung einer offenen Gesellschaft unterstützen“ (30 %). Der zur Bewertung eingestellte Themenkatalog beinhaltet auch außenpolitische Themen: „Den Druck auf China erhöhen, eine verantwortungsvolle Rolle in der Welt zu übernehmen“ (33 %) und „Für die Freilassung in Aung San Sui Kyi und anderen politischen Gefangenen in Burma“ (33 %) oder „Die Internationale Gemeinschaft auf eine Demilitarisierung in Afghanistan drängen“ (37 %).

Zwei Aspekte sind bei der Themenauswahl und der Priorisierung durch die Avaazer auffällig – die Dominanz des US-Blickwinkels: Avaazer sollen allen Ernstes eingespannt werden dafür, „Druck“ auf China auszuüben, um eine verantwortungsvolle Rolle in der Welt zu übernehmen? Das entbehrt nicht einer gewissen Komik. Die elitären US-Avaazer sind offensichtlich umsonnt vom Glanze eigener Rechtschaffenheit, der sie völlig vergessen lässt, dass eine bewährte Anstandsregel heißt, dass man zuerst vor seiner eigenen Türe kehrt. Eine entsprechende Aufforderung an die Regierung der Vereinigten Staaten mitsamt ein paar Millionen Stimmen von Avaazern, doch endlich eine verantwortungsvolle Rolle in der Weltpolitik zu spielen, ist wohl völlig unrealistisch.

Dort, wo Forderungen an die USA direkt möglich wären, nämlich im Afghanistan-Krieg, der 2001 von den USA vom Zaun gebrochen wurde und ein ganzes Land wegen einer angeblich sich dort aufhaltenden Person mit saudischer Staatsbürgerschaft kollektive Haftung und Bestrafung durch Krieg nahm, wird (man beachte die genaue Formulierung) an die „Internationale Gemeinschaft“ delegiert und statt eine sofortige Einstellung aller kriegerischen Handlungen und den sofortigen Abzug aller Truppen zu verlangen, wird schüchtern „Demilitarisierung“ gefordert. An dieser Stelle wird von Avaaz ganz bewusst auf Leidenschaft, Bauchgefühl, hohe Energie und Dringlichkeit verzichtet. Die Formulierung der Forderung entbehrt jeder Durchschlagskraft und wurde (erwartungsgemäß?) daher auch von den Avaaz-Mitgliedern nicht mit hoher Priorität bedacht. Das Avaaz-Lieblingsthema „Klima“ kommt dagegen rüber wie ein Kracher: „Für ein starkes globales Klimaabkommen 2010 kämpfen“.

Obwohl Avaaz in New York sitzt, verzichtet die Organisation ganz auffällig auf Themen, die auch progressive US-Amerikaner in nennenswertem Ausmaß angesprochen hätten: nämlich z. B. die Forderung nach Abschaffung der Todesstrafe in den USA. Dies umso mehr, als gerade in jüngster Zeit immer wieder krasse Fehlurteile, erschreckende Korruption und Nachlässigkeit im amerikanischen Justizapparat ans Tageslicht kamen. Beispielhaft seien nur der Fall des Mumia Abu Jamals genannt oder der staatliche Mord an der unschuldigen Francis Newton, beide im Übrigen Schwarze!

Obwohl Avaaz in New York sitzt, verzichtet die Organisation ganz auffällig auf Themen, die auch progressive US-Amerikaner in nennenswertem Ausmaß angesprochen hätten: nämlich z. B. die Forderung nach Abschaffung der Todesstrafe in den USA

Merkwürdig ist weiterhin, dass sich in dem zur Bewertung gestellten Themenkatalog der angeblichen Idealistengemeinde keine Forderung nach Abschaffung des Hungers oder des Kriegs schlechthin findet. Das führt zur Frage, auf welchem moralischen Fundament die Berufs-Avaazer eigentlich ihre Prioritäten setzen und inwieweit die „Avaazisierung“ der Mitglieder schon fortgeschritten ist.

Was 2007 mit dem Klima begann, ist seither mehr und mehr politisch geworden und es ergibt sich zusehends eine Gleichschaltung mit den außenpolitischen Zielen der USA und eine Identifizierung von „Problemen“ und „Feinden“ nach diesen Maßgaben. Was innenpolitische Themen angeht, sympathisiert Avaaz ganz offen mit der Politik Obamas und tendiert eher zu den US-Demokraten, in außenpolitischen Angelegenheiten ist diese Zuordnung so nicht erkennbar, da ja in der Realität Obama die US-Außenpolitik dort fortführt, wo Bush aufgehört hatte.

Avaaz und Syrien: Kriegsvorbereitungen per Internetkampage? Der Informationskrieg um Syrien

Unlängst erreichte mich eine bewegende E-Mail von Avaaz: „Arabische Liga. Retten Sie Leben in Syrien“, darunter ein Foto von Leichen:

Es folgt der typische Unterschriftenzähler:

Avaaz nutzt ganz offensichtlich die bereits seit Monaten laufende Medienkampagne gegen Syrien, die den Boden bereitete für die eigene Kampagne.

Der Text des Aufrufs (es ist nie ein Verfasser angegeben):

Wer dachte, Avaaz würde sich auf das Briefeschreiben und Spendensammeln beschränken, sieht sich eines Besseren belehrt: Avaaz ist offensichtlich in Syrien vor Ort, hat sich den Rebellen angeschlossen und sitzt sogar „mit am Verhandlungstisch“ – in wessen Namen? Oh ja, es war die „Weltgemeinschaft“.

Der Aufruf lässt keine Zweifel aufkommen: Baschar al-Assad wird als Monster dargestellt: Horror, Terror, er ermordet sein Volk, stellt ihm aber auch den Strom ab und kappt die Telefonleitungen.

Avaaz hat von Anfang mit Aktivisten am Syrischen Frühling gearbeitet

Das sind die bekannten Elemente, die hohe Emotionalität und Leidenschaft vermitteln; Dringlichkeit wird repräsentiert durch das Ziel eines kurzfristig stattfindenden Krisentreffens, was die Avaazer unter Druck setzen soll. Diese Pression soll dann zur Petition überleiten, die rechts neben dem Aufruf eingestellt ist: Eine „millionenstarke“ Petition wird angepeilt. Wer wollte nicht eine „humanitäre Katastrophe aufhalten? Rationalität, vernünftiges Argumentieren hat bei Avaaz keine Chance – Agitation ist Information, Avaaz ist „die Welt“, die auf Syrien schaut. Avaaz – Megalomanie als Methode?

Bereits am 13.2.2012 ließ ein Aufruf aufhorchen: „Hoffnung nach Syrien schmuggeln.“ Es ging jedoch nicht nur um „Hoffnung“, sondern um sehr Konkretes, wie man bald merkte. Einer der Avaaz-„Bürgerjournalisten“ trat auf: „Danny“ – ohne Nachnamen, das muss bei Avaaz reichen.
„Danny“, „Danny und seine Freunde“, „Danny und die Demokratiebewegung“ sagt im Video:

„Zuerst möchte ich mich bei Avaaz und den Avaaz-Mitgliedern bedanken für ihre Hilfe mit Medikamenten und Kleidern und den Laptops und den Kameras und Ausrüstung. Zweite Sache: Ich möchte Euch von der Situation hier in Syrien, in Homs und speziell in Baba Amr berichten. Es ist wirklich schlimm, wir haben keine Verbindungen, keinen Strom, wir arbeiten mit Generatoren und haben keine Medikamente [er hatte deren Erhalt doch gerade erst bestätigt!]. Alles, was wir haben, sind, glaube ich, sechs Ärzte, und keiner kann aus Baba Amr raus oder rein. Wir sind von Armeepanzern umzingelt. Wenn jemand versucht, Medikamente zu holen, wird er erschossen. Wenn die Ambulanz des Roten Halbmonds kommen will, werden sie erschossen oder verhaftet. Wenn jemand versucht, Baba Amr zu verlassen, wird er auch erschossen. Sie haben Baba Amr vier Tage lang pausenlos bombardiert. Daher bitten wir Euch um Hilfe, wir brauchen mehr Essen, wir brauchen mehr Medikamente, wir brauchen mehr Kameras, wir brauchen Internet-Satellitenverbindungen und Satellitentelefone, sodass wir alles, was hier passiert, live ins Fernsehen bringen können. Daher, alles, was ich sagen möchte: Danke Avaaz für Eure Hilfe, wir werden nie vergessen, was ihr getan habt. Vielen Dank.“

Mit „Hoffnung“ waren also hochmoderne Kommunikationssysteme gemeint. Das Portal „Syrianfreedom“ hält fest, dass „Avaaz von Anfang an mit Aktivisten am Syrischen Frühling gearbeitet hat, seit er begann und ein Netzwerk von 400 Bürgerjournalisten im ganzen Land einrichtete sowie Medizin und international Journalisten nach Syrien schmuggelte, damit sie über die sich entfaltende Geschichte berichten sollten und Kampagnen durchführte, um sicherzustellen, dass die Sanktionen und der politische Druck auf das Assad-Regime ausgeübt werden.“13

Die Organisation darüber, was mit „Hoffnung“ gemeint ist: „Finanziert durch Spenden von beinahe 30.000 Avaazern arbeitet ein Avaaz-Team eng mit den Leitern der Demokratiebewegungen in Syrien, Jemen, Libyen und weiteren Ländern zusammen, um ihnen Hightech-Telefone und Satelliten-Internet-Modems zur Verfügung zu stellen, sie kommunikationstechnisch zu beraten und sie mit den Top- Medienkanälen der Welt zu vernetzen. […] Wichtige Herausgeber von BBC und CNN haben uns gesagt, dass Avaaz im Fall von Syrien die Quelle von bis zu 30 % ihrer Berichterstattung darstellt!“, so die Organisation über ihren Anteil am Informationskrieg um Syrien.

Avaaz-Bürgerjournalist Danny wurde vom staatlichen syrischen Fernsehen und vom US-Sender CNN als Lügner und Betrüger entlarvt

Avaaz-Bürgerjournalist Danny war ein beliebter Gesprächspartner u. a. für CNN, BBC, Al Jazeera (Katar) und al-Arabiya (Saudi-Arabien). Peinlich jedoch für Avaaz: Danny [al Dayem] wurde vom staatlichen syrischen Fernsehen am 4.3.2012 und vom US-Sender CNN am 7.3.2012 als Lügner und Betrüger entlarvt: Er fälschte während eines „Live-Interviews“ Schießlärm und gab einem Kumpel Anweisungen zur Akustik. Dazu von CNN befragt, verhedderte er sich in Widersprüche.

Dieses Video zeigt, dass Danny auch schon früher gelogen hat – über eine angebliche Verwundung durch syrische Soldaten: einmal war es eine, dann waren es zwei Kugeln, die seinen Leib durchschlugen. Zwei behauptete Austrittslöcher prangten in der Nierengegend, die er munter seinem BBC-Interviewpartner präsentierte. In einem anderen Interview forderte Danny schluchzend: „Wir nehmen Hilfe von überall an, Israel, es ist uns egal!“ In jedem Fall sollte es eine „Militär-Intervention“ sein, „ein Schlag gegen Assads Regime und eine Flugverbotszone“. Bleibt eigentlich nur noch die Frage, auf wessen Gehaltsliste Danny steht …

Lesen wir nun den zugehörigen Avaaz-Aufruf:

Der Aufruf ist grob und hysterisch: „Unsere Gemeinschaft könnte die einzige sein, die Danny und seinen Freunden vor dem nächsten Massaker helfen kann.“ Avaaz unterschlägt, dass Danny Brite (syrischer Herkunft) ist und Syrien jederzeit verlassen kann, dies bereits für diverse Interviews im Ausland tat. China und Russland werden als Feinde bzw. Lizenzgeber für Mord, der Lügner und mutmaßliche Agent Danny al Dayem als harmloser „Bürgerjournalist“ bezeichnet.

Doch möglicherweise zog die hysterische Masche von Avaaz diesmal nicht so gut: Angestrebt waren Millionen Unterschriften – der Zähler zeigte am 20.3.2012 jedoch nur an die 38.000 Unterschriften – für Avaaz-Verhältnisse also geradezu jämmerlich …

Die grelle Avaaz-Kampagne fügt sich nahtlos in eine seit Monaten laufenden Medienkampagne der Mainstream-Medien und Nachrichtenagenturen: Hier der blutdürstige Diktator, „der auf sein eigenes Volk schießt“, dort die vermummten Milizen der Free Syrian Army, die das Gute und Demokratische schlechthin repräsentieren. Gleiches hören wir von nahezu allen westlichen Politikern, der deutsche Außenminister „weiß“ es ebenfalls.

Nimmt man sich die Zeit, Berichte von Zeitgenossen durchzugehen, die vor Ort sind bzw. waren, löst sich das Schwarz-weiß-Bild, der grobe Holzschnitt, in ein viel differenzierteres Bild auf: Ist man wirklich an einer Annäherung an das Geschehen interessiert, sind Live-Berichte der Arabisch sprechende Russia-Today-Reporterin Maria Fenoshina aus Syrien eine Option. Auch der ehemalige CDU-Abrüstungsexperte Jürgen Todenhöfer bereist Krisenregionen seit Jahren. Afghanistan, Libyen, Syrien – seine Einschätzungen und die Anderer, die vor Ort waren oder sind, sollten schwerer wiegen als anonyme Aufrufe à la Avaaz: Todenhöfer gab der „Welt“ am 23.1.2012 ein Interview: Er war mehrmals in Syrien, konnte mit Assad sprechen.

Hier einige Auszüge:

„Vor einem Monat reiste er fast vier Wochen durch das Land. Er konnte sich ungehindert bewegen. Todenhöfer war in Damaskus, aber auch in Homs, Hama und Daraa, den Orten, die seit fast einem Jahr wegen blutiger Auseinandersetzungen zwischen den Sicherheitskräften des Regimes und Aufständischen Schlagzeilen machen. Er wurde von Staatschef Baschar al-Assad zu einem langen Gespräch eingeladen“. Todenhöfer warnt davor, Syrien zu dämonisieren, berichtet von ‚Guerilla-Aktionen bewaffneter Rebellen, denen auch Zivilisten zum Opfer fallen‘. Die Lage sei sehr komplex.“

„Das sind bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen. Wir bekommen im Westen immer nur zu hören, welche Untaten die staatlichen Sicherheitskräfte verüben. Aber die Untaten der anderen Seite werden totgeschwiegen. Die internationale Berichterstattung ist extrem einseitig.“

Todenhöfer über die Informationslage: „Zurzeit hat in Syrien die Opposition ein Informationsmonopol, das sie über al-Dschasira und al-Arabia gnadenlos ausübt. Im Homs beispielsweise gibt es vier Satellitenstationen, denen jeder Handyfotograf in Sekundenschnelle seine Bilder übermitteln kann. Das wird verständlicherweise auch genutzt.“

Und hinsichtlich der Bewaffnung: „Es gibt Kräfte im Ausland, die dem gewalttätigen Teil des Aufstandes schwere Waffen zur Verfügung stellen. Da ist die heißeste Spur Katar. Katar war auch der große Waffenlieferant in Libyen. Die Amerikaner greifen nicht direkt ein, der bewaffnete Widerstand wird über arabische Nachbarstaaten organisiert, vor allem über Katar und Saudi-Arabien. In Katar ist auch al-Dschasira beheimatet.“

„Mit Assad soll ein wichtiger Verbündeter des Iran weggeräumt werden“

Todenhöfer legte am 20.3.2012 in der „Taz“ noch einmal nach: Wir erleben „zu Syrien eine gigantische Desinformationskampagne“. Und:

„Den Chaosstrategen des Westens geht es in erster Linie um die Schwächung des Iran, der ihnen durch den törichten Irakkrieg zu mächtig geworden ist. Mit Assad soll ein wichtiger Verbündeter des Iran weggeräumt werden. Das ist des Pudels Kern und sonst gar nichts. Solange Assad mit Iran verbündet bleibt, wird der Westen seinen Sturz betreiben. Selbst dann, wenn er in Syrien eine perfekte Westminster-Demokratie einführen würde. Das ist auch der Grund, warum der Westen auf demokratische Schritte Assads, die dieser mühsam gegen die alten Kader durchgesetzt hat, so wütend protestiert. Der Westen hätte in Syrien lieber extremistische Freunde als demokratische Gegner. Es ist die große Lebenslüge des Westens, dass er behauptet, er kämpfe im Mittleren Osten um Demokratie und Menschenrechte. In Wirklichkeit kämpft der Westen einzig für seine Interessen. Weil er das nicht zugeben will, verheddert er sich in unauflösbare Widersprüche. Etwa wenn er autokratische Staaten wie Syrien dämonisiert, Autokratien wie Saudi-Arabien, Bahrain und Katar aber als ,Stabilitätsanker' heroisiert. Der Westen stand und steht in der arabischen Welt nie wirklich an der Seite der Demokraten. Auch nicht in Syrien.“

Es gibt eine Vielzahl von Berichten, die uns über die komplizierte Lage in Syrien weiter ins Bild setzen:

  • Wikileaks veröffentlichte kürzlich Dokumente (E-Mails eines Stratfor-Analysten), welche enthüllten, dass US-geführte, verdeckt arbeitende NATO-Kräfte in Syrien bereits gegen die syrische Regierung arbeiten und bewaffnete Banden trainieren. Es benannte Special Operation Forces (SOF). Es gehe um Guerilla-Angriffe und Anschläge, um die syrische Regierung zu stürzen. Russia Today berichtet über eine Blackwater-ähnliche private US-Militärfirma namens SCG.14
  • Die gegen das Assad-Regime auftretenden Staaten seien: die USA, Großbritannien, Frankreich, Saudi-Arabien, Katar und die Türkei.15
  • Am 9.2.2012 äußert der Sprecher des russischen Außenministers Besorgnis wegen der israelische Information über die Entsendung britischer und katarischer Sondereinheiten nach Syrien.16
  • Die bewaffneten Banden scheinen aus Mitgliedern unterschiedlicher Nationalität zu bestehen. Reporter des Voltairenet-Netzwerkes, das ein Büro in Syrien unterhält, fanden vor Ort Zeugen, die Angriffe dieser Banden überlebt hatten. Sie identifizierten Kämpfer anhand ihres Akzents als Iraker, Jordanier und Libyer, andere als Paschtunen.
  • Russia Today meldet am 3.3.2012, dass ca. 100 französische Soldaten, meist Fallschirmjäger, von den offiziellen syrischen Truppen verhaftet wurden.
  • Libysche Rebellenführer sind in Syrien im Einsatz: z. B. Abdelhakim Belhaj, der islamistische Militärgouverneur von Tripolis ein Afghanistan-Kämpfer und Weggefährte von Osama Bin Laden, Gründer der terroristischen Islamic Fighting Group. Das berichtet der vielfach ausgezeichnete Journalist Babak Dehghanpisheh, Chef des Newsweek-/The-Daily-Beast-Büro von Beirut, der davor jahrelang Irak-Berichterstatter war.17 Er sprach persönlich mit Belhaj.
  • Thierry Meyssan, ein investigativer französischer Journalist aus Beirut, berichtet für Voltairenet,  dass die syrischen Rebellen, die freie „syrische“ Armee die Stadtviertel Baba Amr und Inchat von Damaskus besetzte und dort ein islamisches Emirat ausrief. Als die syrische Armee am 1.3.2012 die Viertel wieder eroberte, massakrierten die Rebellen die Christen zweier Dörfer auf ihrem Rückzug. Westliche Medien ignorierten diese Tatsachen konsequent. Kurz vor Einnahme der Stadtviertel von Assad-loyalen Truppen, ließ man französische Militärberater in den Libanon fliehen. Meyssan berichtet von einem Pressezentrum, das von den Satellitensendern Al-Jazeera, Al-Arabiya, France 24, BBC und CNN genutzt und von israelischen Journalisten koordiniert wird. Die Journalisten konnten dort ihre Montagen machen und hatten Zugang zu Satellitensendern für direkte Ausstrahlung. Manche spotteten, weil sie das Niveau des Informatikzentrums mit jenem der nationalen syrischen Armee verglichen, die nur auf veraltete Technik zurückgreifen könne. Man habe keine Information über die großzügigen Sponsoren, die diese Einrichtung auf dem neuesten Stand der Technik geschenkt haben.18
  • Der arabische Sender Al-Jazeera mit Sitz in Doha verlor eine Serie von Mitarbeiter: Aus Protest wegen seiner einseitigen Syrienberichterstattung und Manipulationen quittierten u. a. der Bürochef des Senders in Beirut, Ghassan Bin Jeddo. Er sagte, Al-Jazeeramache nur mehr Schmierenjournalismus, es sei eine Zentrale für Aufwiegelung und Mobilisierung. Der Geschäftsführer des Senders in Beirut hatte ebenfalls aus Protest seine Arbeit gekündigt, nachdem seine Korrespondenten und Produzenten aus Protest über die Anti-Assad-Berichterstattung des Senders ihren Arbeitsplatz verließen. Ali Hashem, der Korrespondent für Beirut, ging ebenfalls, weil von ihm gemachte Fotos von bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Rebellen und der syrischen Armee in Wadi Khaled unterdrückt wurden.19
  • Das syrische Human Rights Observatory mit seinem „Vorsitzenden“ Rami Abdelrahman, auf das sich namhafte Nachrichtenagenturen in ihrer Berichterstattung seit Monaten berufen, wurde entlarvt: Die in einer Zweizimmerwohnung im englischen Coventry beheimatete Organisation gab am 17.1.2012 bekannt20, dass hinter diesem Namen nur ein Alias vieler Personen, nicht aber ein bestimmte Individuum stecke. Zudem wurde das Alias von einem Satellitenmonteur kurdisch-syrischer Herkunft namens Osama bin Suleiman zwischenzeitlich gekapert und für eigene Zwecke missbraucht. Der Skandal ist, dass Nachrichtenagenturen wie dpa gleichwohl ungerührt die täglichen Gräuelmeldungen des englischen Teams als bare Münze und als authentische Information aus Syrien verkauft und unbeirrt weiter von dem Vorsitzenden Rami Abdelrahman schreibt. (z. B. dpa, „Kämpfe im Nobelviertel“, Generalanzeiger Bonn vom 20.3.2012).
  • Die US-NRO Human Rights Watch mit Hauptsitz in New York sah sich am 20.3.2012 gezwungen, in einer Erklärung die syrischen Rebellen zu ermahnen, (obwohl sie an sich auf der Seite der Rebellen steht):21 Sarah Leah Whitson, die Nahost-Direktorin von Human Rights Watch, sagte, das brutale Vorgehen der syrischen Regierung könne Vergehen der bewaffneten Oppositionsgruppen nicht rechtfertigen. Oppositionsführer sollten ihren Anhängern klarmachen, dass sie unter keinen Umständen foltern, kidnappen oder hinrichten dürften.
  • Der Spiegel berichtet ebenfalls erstmals von Folterungen durch die Oppsition in Syrien.21
Keinesfalls kann das tendenziöse Schwarz-weiß-Bild von Avaaz als Abbild der syrischen Realität dieser Tage akzeptiert werden

Foltern, Kidnapping, Exekutionen durch die syrischen Rebellen – fehlt noch, die Serie von Autobombenanschlägen in Aleppo und Damaskus zu erwähnen, die zig unschuldige Opfer forderten und das Schreckgespenst der „Irakisierung“ Syriens an die Wand malen. Die Lage in Syrien ist kompliziert und geprägt von vielfältigster Einmischung von außen. Keinesfalls kann das tendenziöse Schwarz-weiß-Bild von Avaaz als Abbild der syrischen Realität dieser Tage akzeptiert werden.

Die Rolle von Avaaz in Syrien

Ricken Patel, der Avaaz-Chef, beschreibt in einem Dankesvideo an die Avaaz-Gemeinde inklusive einem anschließenden weiteren Hilferuf Dannys die Rolle der Kampagnenorganisation so (man beachte auch das Plakat, vor dessen Hintergrund Patel spricht: „Putin: Syrisches Blut an den Händen“):

Mit den eingegangenen Spenden habe Avaaz ein Netzwerk von Bürgerjournalisten finanziert, dass einen hohen Prozentsatz der Informationen, welche die Welt über Syrien erhalte, herausgebe. „Und wir schmuggelten Millionen von Dollar mit medizinischem Bedarf nach Homas und andere belagerten Städte und haben Schutzhäuser eingerichtet und noch viel, viel mehr.“ Was also noch?

Avaaz: Senden und Spenden – bei Aufruf!


 

Zu der überraschend aktiven Rolle des Kampagnennetzwerkes in Syrien hieß es im britischen „Guardian“ am 2.3.2012: „Inmitten des Durcheinanders von Berichten und Kommentaren über die blutigen Ereignisse in Syrien diese Woche, ist ein Aspekt weithin unbemerkt geblieben: Die außerordentliche Rolle, die eine Online-Kampagnengruppe spielte, die es trotz ihres geringen Alters schaffte, sich im Zentrum der sich abspielenden Krise zu platzieren.“

Der Artikel beschreibt die „Hauptrolle“ von Avaaz als Koordinationszentrum für die syrischen Rebellen. Die Zeitung macht sich Gedanken, ob die Organisation denn tatsächlich gewappnet sei, in einer so brutalen Kriegszone zu agieren. Ricken Patel zerstreut die Zweifel, indem er die persönliche Erfahrung des leitenden Avaaz-Teams betont, der Avaaz-Kampagnenmanager habe in 20 Kriegszonen gearbeitet; der Kampagnendirektor habe einige Zeit im US-Außenministerium und für Amnesty gearbeitet, und Patel selbst sei in Sierra Leone, Liberia, dem Sudan und Afghanistan gewesen. „Ich habe vier Jahre ganz direkt mit diesen Sachen zu tun gehabt, das ist für mich nicht neu“, sagte Patel dem Guardian in seinem New Yorker Hauptquartier. Ein weiterer Mosaikstein für das Gesamtbild von Avaaz. Ist sie wirklich eine „Nicht“-Regierungsorganisation?

In seinem Gespräch mit dem britischen „Guardian“ geht Ricken Patel noch weiter ins Detail: Er erwähnt seine Erfahrungen mit dem arabischen Frühling, in den Avaaz drei Millionen Dollar Spendengelder investierte und beschreibt, wie sie frühzeitig einen Stab von Organisatoren in den Libanon sandten, um von dort Kontakte zu Syrern herzustellen. U. a. wurde Wissam Tarif, ein Libanese und Anti-Assad-Aktivist mit besten westlichen Kontakten angeheuert. Als nächstes sandte Avaaz Trainer nach Syrien, um Personal im Gebrauch der hochmodernen Satellitenkommunikation zu schulen – eine Konsequenz, die man aus dem Tunesien- und Libyenengagement gezogen habe. Avaaz gelang es, sichere Schmuggelrouten zu etablieren und 34 internationale Journalisten nach Syrien zu schleusen. Der französische Fotograf René Ochlik und die Times-Reporterin Marie Colvin waren darunter, sie starben während des Kampfes um Homs.

Ein britischer Fotoreporter in der Gesellschaft von Terroristen?

Avaaz kam auch kürzlich in die Schlagzeilen mit der erfolgreichen Evakuierung des verletzten britischen Fotografen Paul Conroy aus der umkämpften Stadt Homs in den Libanon.

Kaum war Conroy zurück in England, sah man ihn schon auf einer Anti-Assad-Demonstration in London Hetztiraden haltend22, anders kann man seinen Originalton nicht umschreiben. Bei dieser Rede bedankt er sich ausdrücklich bei Avaaz und den Mitgliedern der al-Faruq-Brigade. Al-Faruq – nur eine Namensgleichheit zur Brigade, die vom US-Department für Homeland Security als islamistische, dschihadistische Terrororganisation eingeschätzt wird?23 Sie wurde 2003 im Irak gegründet, bekämpfte westliche Truppen und wird für Anschläge verantwortlich gemacht ...

Avaaz in schlechter Gesellschaft

Ist Conroy wirklich nur ein Fotograf?

Paul Conroy (mit blauer kugelsicherer Weste), Mahdi al-Harati, Al-Kaida-Führer (mit schwarzer Weste) und Abdelhakim Belhaj (mit Tarnanzug), Foto: Voltairenet

 

Das Foto zeigt den von Avaaz aus Homs evakuierten britischen Fotoreporter Paul Conroy mit zwei Al-Kaida-Größen:

Mahdi al-Harati ist ein Al-Kaida-Führer und mutmaßlicher Mittäter der Anschläge vom 11.3.2004 in Madrid.24 Er kämpfte während des Libyen-Kriegs in Tripolis und ist jetzt in Syrien im Einsatz.

Abdelhakim Belhaj ist die rechte Hand von Ayman al-Zawahiri, der derzeitigen Nummer eins von Al-Kaida und selbst die derzeitige Nummer zwei. Obwohl er offiziell einer der meistgesuchtesten Verbrecher der Welt ist, wurde er von der NATO zum Militärgouverneur von Tripolis erhoben. Er kämpft jetzt ebenfalls in Syrien.

Ein britischer Fotoreporter in der Gesellschaft von Terroristen? Voltairenet schätzt Conroy als Mitglied des britischen MI6 ein.25 Avaaz hat gelinde gesagt recht seltsame Freunde und Mitarbeiter in Syrien!

Am 4. Januar hatte Avaaz einen Aufruf herausgegeben „Bringt Syriens Folterknechte vor Gericht“ (siehe Abbildung oben). Darin wurde gedrängt, Präsident Assad und sein „monströses Regime“, das „tödlichen Terror“ verbreitet, vor dem Internationalen Gerichtshof anzuklagen.

Unter dem Aufruf kann man einen Link anklicken, der zu einem Avaaz-Bericht über Folterzentren in Syrien führt. Der Bericht vom 9. Januar ist überschrieben: „Enthüllung über das Ausmaß des Horrors von Assads Folterkammern.“ Verantwortlich zeichnen die Avaazer Wissam Tarif mit einer Telefonnummer im Libanon und Will Davies mit einer englischen Kontaktnummer.

Der Avaaz-Bericht ist eine Beschreibung von Foltern, kurz gesagt von „A“ wie Augen ausquetschen bis „Z“ wie Zehennägel ausreißen, allerdings werden Opfer nur mit Vornamen genannt. Auffällig ist, dass man darauf verzichtet, Fotos als Beweise zu präsentieren, obwohl die Opferberichte von Avaaz angeblich alle verifiziert wurden.

Avaaz wurde im Informationskrieg erfolgreich aktiv und scheut sich nicht, wie aufgezeigt, auch mit Manipulation, Lüge und Betrug zu arbeiten

Der einzige Klarname eines Folteropfers, den Avaaz benennt, ist der von Khaled Sid Mohand, einem französisch-algerischen Journalisten, der 23 Tage in Syrien im Gefängnis war und gegenüber dem Fernsehsender France 24 sagte: „Ich kann mich nicht beklagen. Ich wurde während der ersten beiden Tage ein klein wenig geschlagen, aber dann nie mehr angerührt.“

Avaaz – der Stoff, aus dem Hetzkampagnen sind?

Das ernüchternde Fazit über Avaaz lautet:

Avaaz ist eine aus den USA gesteuerte internationale Kampagnenorganisation. Sie erschleicht sich das Vertrauen ihrer Mitglieder mit Hilfe harmloser Kampagnen („Rettet die Bienen“). Anschließend missbraucht sie das gewonnene Vertrauen ihrer Mitglieder skrupellos, um mit Hilfe der arglosen Geldspenden der Avaazer die außenpolitische Agenda der Vereinigten Staaten bzw. ihrer Eliten zu befriedigen.

Letzteren gelang es mit Avaaz, außenpolitische Einflussnahme und Einmischung in souveräne Staaten „outzusourcen“ bzw. gewissermaßen verdeckt zu delegieren. Zugleich ist dieses Modell ökonomisch äußerst interessant, da die Avaaz-Mitglieder die finanzielle Last tragen (Spenden!), nicht das Avaaz-Direktorium oder die hinter ihm stehenden milliardenschweren US-Stiftungen, Denktanks und NROs.

Avaaz spielt im Falle Syriens die Rolle einer Tarnorganisation und liefert uns ein Beispiel für die moderne Form der Kriegsführung auf verschiedenen Ebenen: Avaaz wurde im Informationskrieg erfolgreich aktiv und scheut sich nicht, wie aufgezeigt, auch mit Manipulation, Lüge und Betrug zu arbeiten. Ein Informationskrieg ist neben dem Wirtschaftskrieg und dem Stellvertreterkrieg mithilfe terroristischer Milizen unterschiedlichster Herkunft und Couleur die modernste Form des Krieges und die Methode, souveräne Staaten völkerrechtswidrig zu destabilisieren und in die Knie zu zwingen.

Welches Menschenbild hat Avaaz? Offensichtlich das von Menschen, die unendlich dumm, gutmütig und beeinflussbar sind. Wie Schafe.

Und von Menschen, deren Emotionen und deren Geld man melken kann. Wie Kühe.  

Ausblick

Die ausführliche Avaaz-Analyse kann als Maßstab dienen, auch andere Kampagnenorganisationen kritisch zu hinterfragen. Keineswegs soll aber der Eindruck vermittelt werden, Internetkampagnen seien an sich schlecht. Es gilt der Grundsatz: Je mehr Transparenz eine Organisation zulässt und je näher Idealisten ganz praktisch gesehen, Vereinen, Initiativen und Organisationen etc. sind, desto eher können sie Einblicke über Motive und Beweggründe gewinnen und den Einsatz ihrer Spenden kontrollieren. Aus der Sicht der Autorin ist es daher sinnvoller z. B. zur Rettung von Bienen einem Imkerverein vor Ort Hilfe anzubieten (praktisch oder finanziell), als großen, internationalen Organisationen zu vertrauen, ohne dass man die themengebundenen Spendenströme und die Kampagnenergebnisse wirklich nachvollziehen kann.

Grundsätzlich sollte man Kampagnenorganisationen misstrauen, die stark zentralisiert sind, einen „Präsidenten“ und ein „Hauptquartier“ haben und Themen stark vermischen (z. B. ökologische und humanitäre Anlegen mit letztendlich militärischen wie bei Avaaz aufgezeigt).

Und: Idealismus ist etwas sehr Schönes und für diese Welt Notwendiges, umso mehr müssen wir darauf achten, ihn wachsam und überlegt einzusetzen.

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ANMERKUNGEN

  1. Agitprop: Kunstwort aus Agitation und Propaganda
  2. Vgl. „The Times“ vom 9.2.2011, aufrufbar unter www.scribd.com
  3. Ebenda.
  4. Die Pfundkrise im September 1992 war eine Spekulation gegen das Britische Pfund, die das Europäische Währungssystem (EWS) beinahe zum Einsturz brachte. George Soros und andere waren der Meinung, das britische Pfund sei überbewertet, Großbritannien müsse entweder das Pfund abwerten oder das EWS verlassen. Soros & Co. setzten daher große Geldsummen zur Schwächung des Pfunds ein. Zuerst versuchte die britische Notenbank noch, durch Stützungskäufe ihre Währung zu stabilisieren. Als das aber wenig Wirkung zeigte, gab sie am 16. September 1992 eine Zinserhöhung von zuerst 10 % auf 12 % bekannt, um die Attraktivität des Pfundes zu steigern und Investoren anzuziehen. Nur wenige Stunden später stellte die Notenbank eine Erhöhung des Zinssatzes auf 15 % in Aussicht. Die Spekulanten ignorierten jedoch diese Aussage und setzten weiterhin hohe Summen gegen das britische Pfund, so dass gegen 19 Uhr Ortszeit der Schatzkanzler, Norman Lamont, bekannt gab, Großbritannien werde das EWS verlassen und die Zinsen wieder auf das alte Niveau von 10 % senken. In der Folge fiel das britische Pfund in den nächsten fünf Wochen um fast 15 % gegenüber der deutschen Mark und um 25 % gegenüber dem US-Dollar. Diese Spekulation brachte Soros einen Milliardengewinn und den Beinamen „The Man Who Broke the Bank of England“ ein. 2006 erfolgte seine rechtskräftige Verurteilung in Frankreich wegen Insiderhandels. Die Internationale Crisis Group sagt über ihr Vorstandsmitglied Soros: Er hat ein Netzwerk philantrophischer Organisationen aufgebaut, die in über 50 Ländern der Welt aktiv sind. Diese Organisationen widmen sich der Förderung demokratischer Werte und der offenen Gesellschaft. Das Stiftungsnetzwerk gibt mehr als 400 Mio. Dollar pro Jahr aus. (vgl. Wikipedia).
  5. Vgl. www.soros.org/about
  6. Vgl. www.crisisgroup.org/en/about.aspx
  7. Vgl. www.jewcy.com/social-justice/the-big-jewcy-ben-brandzel-progressive-online-organizer
  8. Ebenda.
  9. Quelle: http://dailyagenda.org/2011/03/14/citizens-engagement-lab-cel/
  10. Vgl. http://jystewart.net/2008/04/10/ecampaigning-forum-ben-brandzel/
  11. Originalzitat aus „The Times" vom 9. Februar 2011: „Obwohl Patel das Schiff steuert, werden die großen Entscheidungen von der Gemeinschaft gemacht. Eine jährliche Befragung von 10.000 Mitgliedern zeigt an, welche Themen im Mittelpunkt stehen. Bevor eine Kampagne startet, wird sie getestet, um ihre Akzeptanz abschätzen zu können. Kampagnen werden lanciert oder fallen gelassen, je nach Mehrheitsentscheidung.“
  12. Quelle: http://avaaz.org/de/people_power_in_2010/?aboutus_new
  13. http://syrianfreedomls.tumblr.com/post/18436566586/avaaz-syria-activist-network-frees-paul-conroy-three
  14. Vgl. http://rt.com/news/stratfor-syria-regime-change-063/
  15. Vgl. www.presstv.ir/detail/230376.html
  16. Vgl. http://de.rian.ru/politics/20120209/262657579.html
  17. Vgl. www.thedailybeast.com/articles/2011/09/02/abdul-hakim-belhaj-libya-s-powerful-islamist-leader.html
  18. Vgl. www.voltairenet.org/Die-Journalisten-Kampfer-von-Baba
  19. Vgl. www.youtube.com/watch?v=x--Td_8JXYk&feature=player_embedded
  20. Vgl. www.syriahr.org/index.php?option=com_content&view=article&id=638&Itemid=7
  21. Vgl. www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,822653,00.html
  22. Vgl. www.youtube.com/watch?v=OMGMVkxOmaM
  23. Vgl. www.start.umd.edu/start/data_collections/tops/terrorist_organization_profile.asp?id=4325
  24. Vgl. www.nationalreview.com/corner/286729/libyan-rebel-commander-i-was-imavi-marmarai-john-rosenthal
  25. Vgl. www.voltairenet.org/Journalist-Paul-Conroy-operativer
  26. www.france24.com/en/20110510-algerian-journalist-khaled-sid-mohand-released-syrian-detention-torture-assad