Der Sonne entgegen ...

Im Gespräch mit dem britischen Regisseur Danny Boyle und dem Experimentalphysiker Brian Cox anlässlich des Kinostarts von „SUNSHINE“

Von JOHN APGAR

Am 16. April 2007 lief SUNSHINE in den Kinos an, der neueste Film des Briten Danny Boyle („Trainspotting“, „Millions“, „28 Days later“), der sich eines Science-Fiction-Themas annimmt, das so fiktiv gar nicht ist: das Erlöschen unserer Sonne und den Folgen für das Leben auf der Erde. Der Regisseur und sein wissenschaftlichen Berater Brian Cox von der Genfer Großforschungseinrichtung CERN schildern ihre Motivation hinsichtlich der filmischen Umsetzung und inwiefern die Beschäftigung mit unserem Zentralgestirn ein Bewusstsein für das noch längst nicht verstandene Mysterium Kosmos erwecken kann, ja sogar soll.

John Apgar: Noch nie zuvor stand die Sonne derart im Mittelpunkt eines Science-Fiction-Plots. Wie sind Sie dieses ungewöhnliche Filmprojekt angegangen, Danny? Es war sicher eine Mischung aus Faszination und Fragen, die Sie sich gestellt haben …

Danny Boyle: Zunächst mal war es eine große technische Herausforderung. Aber die Idee hat mich fasziniert: Wie würde es sein, der Quelle allen Lebens in unserem Planetensystem so nahe zu kommen? Ist das überhaupt möglich? Vielleicht nicht in der Realität, aber in einem Film wäre es möglich. Der Sonne Auge in Auge gegenüberzustehen wie Cillian Murphy, das muss für einen Wissenschaftler großartig sein – aber vielleicht auch für einen gläubigen Menschen. Themen wie diese durchziehen den ganzen Film. Man muss sich aber nicht darauf einlassen, wenn man nicht will: Es ist vor allem sehr unterhaltsames Kino.

Apgar: Spiegelt der Film Überzeugungen wider, an die Sie glauben?

Boyle: Ich habe mich von vielen religiösen Überzeugungen befreit. Ich bin in einer sehr religiösen Familie aufgewachsen. Aber mit ungefähr 16 habe ich zum ersten Mal „Clockwork Orange“ gesehen. Das war so ein Schock, mir blieb gar nichts anderes übrig, als mich von der Welt meiner Eltern zu verabschieden – von einer religiösen Welt, die mir aufgezwungen wurde. Und ich begann, die Dinge anders zu sehen. Ich glaube allerdings nicht, dass der Film meine Vorstellungen vollständig umgekrempelt hat, ganz werde ich meine religiöse Erziehung bestimmt nie los. Sie schlummert im Verborgenen. Obwohl ich zum Beispiel nicht an Gott glaube, fürchte ich mich immer noch davor, von ihm bestraft zu werden.

Obwohl ich nicht an Gott glaube, fürchte ich mich immer noch davor, von ihm bestraft zu werden

Apgar: Möchten wir deshalb an Gott glauben, weil unser Ego es verlangt und wir uns dann wichtiger fühlen?

Boyle: Ja, das kann sein. Ich kann gut verstehen, dass sich viele Menschen Gott zuwenden. Ich persönlich denke, dass die Zukunft auch ohne Gott sehr positiv sein wird. Das heißt aber auch, dass wir die Verantwortung für uns und andere, für kommende Generationen und für unseren Planeten selbst tragen. Vielleicht geht es ja auch darum, was wir an kommende Generationen weitergeben, bis wir da draußen auf andere Spezies, auf anderes Leben stoßen. Ich glaube, darin liegt unsere Verantwortung. Meiner Meinung nach erzählt der Film von der wunderbaren Arroganz der Wissenschaft. Von einer Wissenschaft, die glaubt, dass sie verändern und verbessern kann und dabei sich und ihre Möglichkeiten überschätzt. Wissenschaftler glauben, dass sie Einfluss haben. Früher sind sie für ihre Überzeugungen sogar gestorben. Das Christentum mahnt sie zu Demut, fordert sie aber auch auf, sich selbst zu übertreffen und Dinge zu ändern …

Apgar: Was hat sie bei ihren Recherchen über die Sonne und das Universum am meisten überrascht?

Danny Boyle lässt die Sonne auch einmal ganz anders scheinen: Der Macher von SUNSHINE unterstützt "Ein Herz für Kinder" und signiert einen SUNSHINE-Banner für den RTL-Spendenmarathon

Boyle: Na, da gab es so einiges. Beispielsweise die Sache mit England. Hier liegt London und 200 km weiter weg Birmingham, die zweitgrößte Stadt Englands. Wenn nun ein stecknadelkopfgroßes Stück der Sonne auf Birmingham fiele, wäre auch die ganze Metropole London verschwunden. Alle würden sterben, selbst in 200 km Entfernung vom Stecknadelkopf. Wir machen uns andauernd Sorgen über unsere Freundin, Geld und den ganzen Kram, aber über unseren Köpfen warten die echten Katastrophen. Ich hoffe, der Film vermittelt eine Ahnung davon, wie brenzlig es da draußen ist.

Apgar: Sie haben hochtalentierte Experten als Berater engagiert. Wie kamen sie zum Beispiel auf Brian Cox?

Boyle: Brian Cox engagierte ich, weil er wissenschaftliche Themen für jedermann zugänglich machen kann.

Apgar: Welche Rolle übernehmen Sie als Regisseur und wie gehen Sie mit den Schauspielern um?

Boyle: Es ist Aufgabe des Regisseurs, den Film zusammenzuhalten und den Schauspielern zu vermitteln, dass der Film etwas Besonderes ist. Ich mache alle zwei Jahre einen Film, in der gleichen Zeit machen sie vielleicht vier oder fünf. Also geht es darum, sie bei der Stange zu halten und deinen Film zu einer lohnenden Erfahrung für sie zu machen. In „SUNSHINE“ gibt es sehr viele Rollen, keiner der Schauspieler steht im Mittelpunkt. Trotzdem sollen sich alle wichtig fühlen, schließlich sind sie das ja auch. Die Schauspieler waren fantastisch und taten alles, was ich von ihnen verlangte. Ich erklärte ihnen mein Projekt, indem ich Bildmaterial zeigte und sie mit echten Wissenschaftlern zusammenbrachte, statt ihnen einfach nur Bücher zu geben. Es gibt in diesem Film sehr viel Computeranimation, also musst du jede Situation lebhaft schildern, auch wenn sie nicht zu sehen ist – sonst verlieren Schauspieler in solchen Szenen die Orientierung. Ich gebe ihnen immer so viele Informationen wie möglich, um ihre Vorstellungskraft anzuregen.

Apgar: Wie haben Sie so einen gewaltigen Film gedreht? Bisher hatten sie es ja eher mit kleineren Budgets zu tun …

Boyle: Ja, das stimmt. Übrigens, der Film sieht nach 100 Millionen Dollar aus, hat aber nur die Hälfte gekostet. Wir haben mit den Techniken aus „28 Days Later“ gearbeitet, also nicht in der traditionellen Arbeitsweise der Studios, sondern mit einem bescheideneren Ansatz. Niemand bekam viel Geld. Wir haben den Goodwill von „28 Days Later“ ausgenutzt. Wer einen Kassenschlager gemacht hat, hat beim nächsten Mal etwas gut. Und ich wollte immer schon einen großen Science-Fiction-Film drehen. Hier war meine Chance. Aber es war ein langer Prozess. Über einen Zeitraum von einem Jahr gab es 30 Drehbuchentwürfe, erst dann konnten wir anfangen zu filmen.

Apgar: Welche Filme haben Sie sich für diesen Film angesehen?

Boyle: Wir haben uns von zwei Monumenten des Genres inspirieren lassen: der Originalversion von „Solaris“ und „Alien“ – beides fantastische Filme.

Wenn ein stecknadelkopfgroßes Stück der Sonne auf Birmingham fiele, wäre auch London verschwunden

Apgar: Was ist für Sie die zentrale Aussage des Films?

Boyle: Dass Wissenschaft wahnwitzig arrogant ist und sein muss. Wissenschaftler glauben, sie können alles in der Natur beeinflussen. Aber vielleicht hängt auch unsere Zukunft von ihnen ab.

Apgar: Wenn Sie an jeden Punkt des Universums oder der Erde reisen könnten, was wäre ihr Wunschziel?

Boyle: Ich habe da so ein Buch über die Mondastronauten gelesen, „Moondust“, das war wundervoll. Es erzählt, wie man sich verändert, wenn man Gelegenheit hatte, aus dieser Höhe hinab auf unseren Heimatplaneten zu blicken. Es verändert einen total. Ich bin mal mit der Concorde geflogen. Wegen der enormen Flughöhe von 18.000 m war vom Fenster aus die Erdrundung zu sehen. Man bekam so eine Ahnung, wie es von noch weiter oben aussieht … Man sieht die Dinge im richtigen Verhältnis und es zeigt dir, wie wenig bedeutend dein eigenes Leben auf diesem Planeten ist …

Apgar: Brian, worum geht es für Sie als Wissenschaftler in diesem Film?

Unser Zenralgestirn, die Sonne: Die Wissenschaft hat noch längst nicht alle Rätsel gelöst

Brian Cox: Für mich handelt der Film von der Natur und von Problemen, vor die sie uns stellt. Es ist zwar eine Art Science-Fiction, aber in diesem Fall ist es eine natürliche Bedrohung, mit der die Menschen fertig werden müssen. Es stimmt, die Sonne wird eines Tages sterben und wir müssen darüber nachdenken und damit umgehen lernen. Es passiert nicht morgen oder übermorgen, denn sie hat noch genug Brennstoff für viele Jahre. Aber irgendwann wird sie sterben. Wir müssen auch darauf gefasst sein, dass Kometen oder Asteroiden mit unserem Planeten oder der Sonne zusammenstoßen. Wir müssen uns bewusst sein, dass wir in einem gefährlichen Universum leben. Für mich zeigt der Film, dass Wissenschaft und wissenschaftliche Forschung notwendig sind. Wir müssen weiter forschen, um unsere Zukunft zu sichern. Damit wir in der Lage sind, mit allen Bedrohungen, die von da draußen kommen, fertig zu werden.

Apgar: Welche sind für Sie die größten Rätsel, die entschlüsselt werden müssen, um das Universum zu verstehen?

Cox: Ich arbeite in einem riesigen Labor in Genf und dort tauchen jeden Tag neue Probleme und Rätsel auf. Ich gehöre einem internationalen Wissenschaftlerteam an, das eine 10 Milliarden Dollar teure Maschine gebaut hat (das LHC-Projekt, Anm. d. Red.). Mit ihr wird es möglich sein nachzuvollziehen, wie die Situation kurz nach dem Urknall aussah, was uns zu neuen Erkenntnissen über unser Universum verhelfen wird. Das tun wir, weil wir von 95 % des Weltalls nicht wissen, woraus es besteht. Von dem, was uns da draußen umgibt, kennen wir also gerade mal 5 %. Wir wissen nicht, warum die Schwerkraft so eine schwache Energie ist. Wir wissen nicht, warum sich das Universum ausdehnt und welche Mechanismen dafür verantwortlich sind – Probleme, die wir erforschen müssen, um bestimmte Bedrohungen abzuwenden und besser zu verstehen, was die Zukunft uns bringen wird.

Je mehr wir forschen, desto erstaunlicher wird es, dass wir überhaupt existieren

Apgar: Das Universum wirft noch eine andere Frage auf: die nach ihrem Schöpfer. Glauben sie an Gott? Hat Gott die Menschheit geschaffen? Oder ist es genau andersherum?

Cox: Ich persönlich finde, dass es nicht unbedingt einen Gott geben muss. Ich finde sogar, dass wir die Natur und das Leben unterschätzen, wenn wir denken, dass jemand sie erschaffen haben muss. Es stimmt, all das ist sehr komplex, sehr unwahrscheinlich und je mehr wir forschen, desto erstaunlicher wird es, dass wir überhaupt existieren. Aber wir existieren nun mal und das muss man akzeptieren. Der Film hat mich dazu gebracht, mich intensiver mit diesen Fragen zu beschäftigen. Danny Boyle, Cillian Murphy und die anderen Schauspieler haben mich dauernd nach meinen Ansichten gefragt, beispielsweise darüber, dass sich die Ausdehnung des Universums immer weiter beschleunigt, ein Problem, dass uns Wissenschaftler sehr fasziniert. Außerdem müssen wir uns darüber klar werden, dass es in diesem Universum nicht für immer Leben geben wird – man nennt das den „Hitzetod“. Manche Leute fürchten sich davor. Ich mache mir da keine Sorgen: Ich war schon 13 Millionen Jahre tot, bevor ich geboren wurde, und als Wissenschaftler tangiert es mich überhaupt nicht. Aber immerhin ist mir bewusst, dass über uns das Ende lauert.

Apgar: Was fehlt der Wissenschaft, um das Verständnis des Weltalls den entscheidenden Schritt weiterzubringen? Wo liegen ihre Grenzen?

Cox: Die Grenzen liegen in den fehlenden Forschungsgeldern. Wir wissen genau, was wir nicht wissen. Wir kennen die Lücken. Deshalb arbeiten wir auch in Genf mit dieser Maschine. Sie wird uns in Situationen zurückversetzen, die wir bis jetzt nicht kennen. Vielleicht finden wir heraus, warum die Schwerkraft so schwach ist oder woraus die restlichen 95 % des Universums bestehen. Es ist also wirklich wichtig. Wissen zu sammeln ist schwierig. Man muss Geld in Maschinen und Experimente investieren. Nur so können wir verstehen, was sich hinter „schwarzer Materie“ oder „schwarze Energie“ wirklich verbirgt.

Apgar: Sind wir der Sonne schon mal richtig nahe gekommen?

Cox: Ja, sind wir. Sogar sehr nahe. Die oberste Schicht der Sonne ist nur 6.000 Grad heiß, man kann sich ihr also annähren, wenn man bestimmte Materialien wie etwa Diamant einsetzt. Interessant ist, dass die Sonne im Moment nicht kälter wird, sondern sich immer weiter aufheizt. Vor ein paar Jahren war es überall auf der Erde kälter. Da wir die Sonne nicht wirklich verstehen, bleibt noch viel zu erforschen. Die Sonne wird in 5 Milliarden Jahren erkalten, weil ihr der Brennstoff ausgeht. Sie verbrennt 6.000.000 Tonnen Materie pro Sekunde und die ist natürlich irgendwann alle. Und das ist dann auch das Ende der Erde. Der Film macht deutlich, dass nicht alles immer so weitergeht, sondern dass wir uns aktiv um eine Lösung bemühen müssen. Denn irgendwann wird die Natur uns einholen.

Apgar: Wie sah die Zusammenarbeit mit den Schauspielern aus?

Cox: Ich habe ihnen sehr viel über die Sonne und das Universum erzählt. Außerdem bin ich mit Cillian in mein Labor nach Genf gereist. Er hatte großen Spaß, meinen Kollegen und mir Löcher in den Bauch zu fragen. Ich glaube, er war ziemlich beeindruckt. Und für mich war es eine intensive Erfahrung. Ich war völlig aus dem Häuschen, als ich plötzlich eine E-Mail von Danny Boyle bekam, in der er mich bat, beim Film mitzumachen. Ich habe noch nicht viele Drehbücher gelesen, aber dieses war wie ein Roman: Alles war lebendig und klar. Man konnte sich den späteren Film sehr gut vorstellen. Ich war etwas nervös, als ich den fertigen Film sehen sollte, aber er war perfekt und total grandios.

Apgar: Hilft es ihnen, dass es einen Film wie „SUNSHINE“ gibt?

Cox: Ja, durchaus. Er zeigt, wie wichtig die Wissenschaft für eine sichere Zukunft ist. Denn egal, wie sicher wir uns fühlen – wir leben in einem gefährlichen Universum. Ich hoffe, dass Filme wie dieser Politiker überzeugen, mehr Geld für Forschung auszugeben, damit wir die nötigen Entdeckungen für eine sichere Zukunft machen können.

Apgar: Der Klimawandel ist ein Riesenthema. Wie schwerwiegend ist die Klimaveränderung auf unserem Planeten eigentlich?

Cox: Das Problem ist, dass wir nicht wissen, wie stark die Temperatur steigen wird. Wir wissen nur, dass sie steigt, und zwar bedenklich. In Genf bauen wir gerade einen milliardenteueren Fusionsreaktor, der genau das macht, was die Sonne macht. Wir wollen auf die gleiche Weise Energie  erzeugen. Wenn das klappt, können wir das Problem vielleicht trotz Klimawandel in den Griff bekommen. 2055 soll es so weit sein. Ich hoffe, uns bleibt ausreichend Zeit, um eine Lösung zu entwickeln. Zeit ist essenziell.

Ich bin sicher, dass irgendwo anderes Leben existiert

Apgar: Stellen Sie sich vor, sie könnten mit dem Space Shuttle mitfliegen. Was wäre ihr Wunschziel?

Cox: Ich möchte unbedingt auf den Jupitermond Europa. Dieser Mond hat eine Eiskruste und man weiß, dass unter der Kruste ein Ozean aus flüssigem Wasser ist. Ich würde nachsehen, ob es in diesem Ozean Leben gibt. Ich würde gerne irgendwo anders Leben entdecken.

Apgar: Sie glauben also an andere Lebensformen im All?

Cox: Ich bin sicher, dass irgendwo anderes Leben existiert. Das einzige Problem ist das Weltall: Es ist schon verdammt riesig!

Die Interviews führte John Apgar für 20th Century Fox am 28. Februar 2007 in Los Angeles (Übersetzung: boxoffice Filmmarketing, Hamburg; Bearbeitung: Thomas Röttcher für zeitgeist).